Donnerstag, 26. September 2013

Die letzte Geschichte vor der Autobahn

Der fast fertig gepackte Koffer in meinem kopenhagener Zimmer lässt keinen Zweifel zu, auch wenn ich es kaum glauben kann: die acht Monate sind um, und morgen geht es nach Hause!

Ich will jetzt gar nicht versuchen, ein Resümee zu ziehen - nicht nur, weil es dafür sicher noch zu früh wäre. Einer der schönen Nebeneffekte dieses langen halben Jahrs ist, dass die Welt für mich ein Stück kleiner geworden ist, und ich ziemlich sicher bin, dass ich hier früher oder später wieder vorbeikommen werde und mich nicht für immer von den netten Kollegen an der ITU verabschieden muss. Das macht den Abschied sehr viel leichter, denn obwohl ich mich wahnsinnig auf zu Hause freue, werden mir die Leute hier doch fehlen.

Die letzten Tage waren schon ein dauerndes Abschied nehmen von denjenigen, die gegen Ende der Woche nicht mehr da sein werden. So werde ich zum Beispiel nie miterleben, wie die Kinder der Schwäne vor unserem Gebäude flügge werden. Oder, sehr viel weniger ironisch, werde nicht da sein, wenn unsere Doktoranden ihre Dissertationen verteidigen, über die wir so viel geredet haben in den letzten Monaten. Natürlich sind Abschiede auch immer interessant, weil Menschen sich dann oft von einer anderen Seite zeigen, persönlicher und verbindlicher sind als vorher - schließlich muss man nicht mehr fürchten, dass einem der andere ständig auf die Nerven geht und jetzt einen besten Freund gefunden zu haben glaubt. Mein überaus geschätzter Kollege Miguel hat mir vorgestern zum Abschied ein Exemplar seines neuen Buchs in die Hand gedrückt, was ich ohnehin schon wahnsinnig nett fand. Als dann all meine anderen Kollegen total neidisch waren und erklärt haben, dass er so etwas sonst nie tut, habe ich mich natürlich noch sehr viel mehr über das Abschiedsgeschenk gefreut.

Trotzdem fühlt es sich nicht an, als würde ich jetzt weggehen, und erst recht nicht, als müsste ich das tun. Es gibt hier noch so viel zu sehen und zu entdecken, und die Stadt zeigt sich weiterhin von ihrer allerbesten Seite. Es wird zwar kälter in den letzten Tagen, aber noch ist es fast durchgehend sonnig, und wir haben eigentlich jeden Tag spektakuläre Sonnenuntergänge, die man sich eigentlich stundenlang anschauen könnte. Und je mehr ich mit Kollegen in der Stadt unterwegs war, umso mehr ist mir auch bewusst geworden, wie wenig ich eigentlich von Kopenhagen gesehen habe. Es gibt also gute Gründe, hierher zurückzukommen.

Eines muss allerdings gesagt werden: im Moment ist der beste Zeitpunkt, um hier abzuhauen, denn die Leute auf meinem Flur werden ein bisschen komisch. Unsere Kaffeemaschine ist nämlich krank. Vor einer Woche hat sie der Service-Mann abgeholt, und seitdem ist diese klaffende Lücke in unserer Kaffeeküche, wo vorher die sprudelnde Quelle von Espresso und Kaffee war. Wir behelfen uns mit Nescafé, aber das verändert die Menschen. Vor allem die Dänen sind von diesem plötzlichen Mangel an materiell spürbarer Wertschätzung durch den Arbeitgeber vor den Kopf gestoßen und verlieren langsam aber sicher die Nerven. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bevor hier ein Unglück geschieht ...

In jedem Fall weiß ich, wer dafür verantwortlich sein wird, wenn man diesen Laden eines Tages ausraubt. (Kleiner Tipp: ich bin es nicht). Wer diesen Kollegen eingestellt hat, glaubt auf jeden Fall nicht an die Aussagekraft von Namen. Wie ich die Dänen kenne, hat man ihm wahrscheinlich auch noch Mittel für seine vierzig Mitarbeiter, die in einer sozialen Wohnungsbau-Höhle am Rande der Stadt wohnen, zur Verfügung gestellt. Ist es nicht wundervoll, erst nach acht Monaten zu sehen, dass man mit Ali Baba zusammengearbeitet hat?




Donnerstag, 19. September 2013

Jenseits von Kopenhagen

Ich habe ein Geständnis zu machen: Mein Lob der touristischen Seite Kopenhagens Anfang dieser Woche ist nur die halbe Wahrheit.Wer jetzt denkt, dass ich meinen Zynismus wiederentdeckt habe und alles widerrufe, kennt mich zwar erschreckend gut, liegt diesmal aber tatsächlich falsch. Ganz im Gegenteil: ich habe noch mehr Gutes zu berichten.

Nach zwei Tagen Tourismus in der Hauptstadt haben wir dem Rest des Landes (oder doch zumindest dem direkten Umland) eine Chance gegeben und sind mit einem Mietwagen die Ostküste von Seeland nach Norden gefahren, mit ein paar Abstechern ins Landesinnere. Als wir das Auto gebucht haben, wollte Claudia gern etwas mittelgroßes, und ich wollte keinen Golf. Wir haben die Angebote der verschiedenen Autovermietungen durchgeschaut, und Europcar listet marginal weniger biederes und etwas exotischeres als die übliche deutsche und französische Palette. Ich hatte mich wirklich auf einen Mitsubishi oder Volvo gefreut, wäre auch mit einem Lancia glücklich gewesen, und was bekommen wir? Einen silbernen Golf. Diesel. Mit Spritsparausstattung. Und was soll ich sagen: Es ist ein ganz phantastisches Auto, das sich hervorragend fährt und auch wirklich Spaß macht. Wenn es möglich wäre, hätte ich mir die Bremsen für zuhause einpacken lassen und mitgenommen ...

In dem Stil hat sich dann auch unsere Fahrt durch das östlichste Ende Dänemarks gestaltet. Wir haben eigentlich nie viel erwartet, haben letztlich immer falsch gelegen mit unseren Erwartungen und sind trotzdem freudig überrascht worden. Nachdem wir in Prag über Personenkult die Nase rümpfend einen weiten Bogen ums Kafkahaus gemacht haben, war es schon sonderbar, ausgerechnet ins Karen Blixen Museum zu gehen. Was den Besuch dort lohnenswert macht, ist auch nicht das Interesse an ihrer Person - wer Jenseits von Afrika gesehen hat, weiß schon so ziemlich alles -, sondern die Weise, auf die ihr Haus und Garten lebendig gehalten werden. Weil sie für ihre Blumensträuße berühmt war, stehen im ganzen Haus Vasen, wie sie sie auch gestaltet hätte, was dem komplett historisch eingerichteten Landgut eine gespenstisch bewohnte Atmosphäre verleiht. In manchen Räumen ist es, als würde sie gleich aus dem Garten zurückkommen und die Gardinen zurechtrücken.

Sehr viel weniger bewohnt sind die ländlichen Schlösser, die es um Kopenhagen herum zu besichtigen gibt. Wer nach Rosenborg in der Stadt den Eindruck haben sollte, dass man hier eben kleinere Brötchen gebacken hat, würde sich mächtig täuschen. Schloss Fredriksborg, ein Stückweit im Landesinneren im (alles andere als malerischen) Hillerød gelegen, ist ein ungemein prächtiges, beeindruckendes Wasserschloss, das sich vor keinem Palast Europas zu verstecken braucht.

Die Höfe und Gebäude sind wirklich königlich, auch wenn selbst hier ein bisschen das Familiäre erhalten bleibt, dass mir so langsam als typisch dänisch erscheint. Wo andere Repräsentationsbauten manchmal darauf ausgelegt zu sein scheinen, einfach nur zu beeindrucken und vielleicht sogar einzuschüchtern, sind hier die Größenverhältnisse ein bisschen menschlicher, die Gestaltung weniger abweisend.

Der Barockgarten im Norden des Schlosses ist auf mehreren Ebenen angelegt, durch die ein künstlicher Wasserlauf fließt, der die Ordnung und Symmetrie der Anlage noch zusätzlich betont. Und wenn man hier einen Moment lang denken sollte, den Ort gefunden zu haben, wo es perfekt und unmenschlich würde, entdeckt man die Einfriedungen hinter den repräsentativen, millimetergenau geschnittenen Buschfassaden, in denen Unkraut und Obstbäumchen sprießen.  

Noch eine Priese menschlicher wird es dann im Louisiana Museum of Modern Art (das seinen Namen daher hat, dass der Erbauer des Gebäudes dreimal verheiratet war, und alle drei Frauen Louise hießen). Direkt an der Küste gelegen, ist das Gebäude zur Rückseite hin an mehreren Stellen offen und lässt seine Besucher in den Park dahinter, in dem man zwischen weit verstreuten modernen Skulpturen spazieren oder picknicken kann - alles mit Blick direkt auf den Öresund. Die Cafeteria bietet ausgezeichneten Kuchen an, der Museumsshop ist praktisch ein super edler Innenausstatter und Juwelier, und beim ersten Blick auf das Verhalten der Besucher könnte man denken, dass kaum jemand für die Kunst dorthin kommt. Auch wenn wir hier wichtige Teile der Dauerausstellung wegen Umbaus nicht sehen konnten und uns die große Yoko Ono-Sonderausstellung nicht so viel gegeben hat, ist der Kern der Dauerausstellung, gut versteckt im Keller, ganz ausgezeichnet. Und zum offenen, schrägen Konzept des Museums passend ist die Dauerausstellung eigentlich keine, denn es wird immer nur ein Bruchteil der eigenen Bestände ausgestellt, in ständig wechselnden Anordnungen. Wer also nicht schon wegen des tollen Gebäudes wiederkommen wollte, wird spätestens durch die Ausstellung überzeugt.   

Nach einer Nacht im angeblich besten Hotel von Helsingør (das den Charme einer notdürftig in den Spätachtzigern umgebauten Reha-Klinik, aber einen wirklich ausgezeichneten Koch hat) sind wir dann am nächsten Morgen auf den Spuren Hamlets zur Festung Kronborg. Das Wetter war, zum Weltschmerz des dänischen Prinzen passend, trüb-traurig, aber zum Glück kann man sich in Kapelle, Gemächern und Kasematten lange genug rumdrücken, um den ein oder anderen Regenschauer vorbeiziehen zu lassen.

Und wenn man von Helsingør aus über die schmalste Stelle des Öresund nach Schweden guckt und selbst noch bei Regen und Nebel denkt, rüberlaufen zu können, wird einem auch klar, warum diese zwei Nachbarstaaten ungefähr tausend Jahre lang im Kriegszustand miteinander gelebt haben. Es mag also einiges faul sein im Staate Dänemark, aber man muss es den Dänen lassen: von Museen und Schlössern verstehen sie einiges.
 

Sonntag, 15. September 2013

Gegendarstellung: Sehenswürdigkeiten in Kopenhagen

Mit nur noch knapp zwei Wochen auf der Uhr bis zu meiner Rückkehr nach Deutschland wurde es jetzt doch höchste Zeit für ein bisschen Tourismus in und um Kopenhagen. Bis jetzt hatte ich mich in der Beziehung ja sehr zurückgehalten, und die wenigen Male, wo ich mich hier zum Spaß umgetan habe, waren nur bedingt erfolgreich. Vielleicht erinnern sich noch ein oder zwei Leser daran, dass ich mich immer wieder etwas verhalten zu den touristischen Angeboten meiner aktuellen Zwischen-Heimat geäußert habe. Zur Erinnerung: Wir mögen das Planetarium nicht!

In den letzten Tagen haben sich Stadt und Umland aber wirklich Mühe gegeben, ihre zweite Chance zu nutzen und sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Zugegeben: auch diesmal haben ein paar Sehenswürdigkeiten sich sehr dänisch gegeben. Der wirklich schöne botanische Garten, beispielsweise, ist kostenlos und jederzeit zugänglich, so wie die anderen Stadtparks rundherum. Das Problem ist nur, dass die spezialisierten Gewächshäuser genau eine Stunde (ja, in Worten: eine Stunde) pro Woche offen sind. Das Haupthaus hat natürlich öfter und länger auf – dreimal in der Woche für drei Stunden. Dafür kann man aber jeden Tag vom Gärtner frisches Gemüse oder übriggebliebene Blumenzwiebeln kaufen. Man versteht diese Einrichtung wohl eher als Nutzgarten.

Auch Rosenborg Slot, das Renaissance-Schloss Christians III. ist etwas anders, als der weltgewandte Durchschnittstourist vielleicht erwartet. Oder in den Worten meiner Frau: "Und wo ist jetzt das Schloss? Das kleine Ding da? Jetzt nicht wirklich!" Als passionierte Salonkrimi-Miträtsler haben wir tatsächlich schon geschätzte zweihundert Landhäuser verarmter Landadliger im ländlichen England in Filmkrimis gesehen, in die dieses königliche Stadtschloss reingepasst hätte. Mit den inneren Werten ist es auch nur bedingt weit her, bis man über die gleiche Wendeltreppe wie Gäste seit vierhundert Jahren in den Ballsaal im dritten Stock kommt und, wie Generationen vor einem, angenehm überrascht anerkennend nickt – und sich wundert, wie man als königlicher Architekt drauf sein muss, um den Ballsaal nur über eine Hühnerleiter zugänglich zu machen. Ebenso aufschlussreich ist der Umstand, dass der königliche Abort der mit Abstand hellste Raum im Schloss ist. Man hat wohl früher auch schon gern auf dem stillen Örtchen geschmökert.

Seit der Renaissance ist natürlich ein bisschen Wasser durch den Öresund geflossen, und mit den veränderten Prioritäten der Herrscher haben sich auch die sehenswerten Gebäude gewandelt. Ein bisschen versteckt hinter hohen Mauern, die durchaus an ein italienisches Kloster erinnern, liegt zum Beispiel der Innenhof der alten Nationalbibliothek, eine Oase der Ruhe mitten in einem der geschäftigsten Teile der Stadt. Die Anlage ist ebenso stark an sakraler wie säkularer Architektur ausgerichtet und hat eine schwer zu beschreibende Stimmung irgendwo zwischen Universität, Kloster und Friedhof. Und direkt an den alten Bau ist vor gut zehn Jahren die neue Erweiterung angebaut worden, einer der typischen Kopenhagener Glas-und-Beton-Quader, den die Einheimischen wegen seiner Farbe und der ungleichmäßigen Oberfläche den "Schwarzen Diamant" nennen. Das Gebäude muss man nicht mögen, aber die Art, wie dort Kultur öffentlich gelebt wird, in einer Mischung aus Feierstimmung und Normalität, ist wirklich bewundernswert und sehr sympathisch.

Auch die Museen der Stadt sind wirklich sehenswert, gerade weil vieles an ihnen anders ist als in anderen europäischen Metropolen. Manches ist natürlich wie überall – etwa wenn man am Kartenschalter geradezu herausfordernd mitgeteilt kriegt, dass etwa ein Viertel der Ausstellung im Moment nicht zu sehen ist, der Preis deswegen aber nicht reduziert wird –, und der Moment der Demut, mit dem man dann gehorsam seinen Obolus entrichtet, ist halt der wahre Preis der Gelehrsamkeit. Wenn man so eine Kröte geschluckt hat, wird man dann aber von architektonisch immer spannenden Gebäuden, durchdachter Museumspädagogik und ungewöhnlichen Exponaten belohnt. Vielleicht lag es an den aktuellen Sonderausstellungen bzw. den geschlossenen Dauerausstellungen, oder wir haben nur komisch ausgewählt, aber ich habe noch nie so viele Skulpturen (im Verhältnis zu Gemälden) gesehen wie in Kopenhagen.

Die Ny Carlsberg Glyptotek und das Thorvaldsen Museum haben jedenfalls eine sehr spannende Kollektion, die perfekt in den jeweiligen Gebäuden präsentiert wird. An Thorvaldsen scheiden sich durchaus die Geister, und manchen ist er sicher zu kitschig, aber in dem Neo-Renaissance-Tempel, den ihm seine Landsleute gebaut haben, wirkt sein klassizistischer Schwulst einfach gut. Und in der Glyptotek gibt es ein paar sehr interessante Gegenüberstellungen motivgleicher Skulpturen aus verschiedenen Epochen oder unterschiedlicher Schaffensphasen der gleichen Künstler, was wirklich sehr lehrreich ist und einen die einzelnen Stücke gleich wieder mit ganz anderen Augen sehen lässt.

Man sieht: Auf den zweiten Blick hat Kopenhagen doch eine Menge kultureller Highlights zu bieten. Ganz abgesehen davon, dass die Stadt selbst eben auch eine echte Schönheit ist. Mit nichts als ein bisschen Morgennebel an ist sie wirklich umwerfend ...
 

Dienstag, 3. September 2013

Große Fische, nicht ganz so große Fische

Falls mein letzter Post so klang, als müsste man nicht unbedingt nach Atlanta reisen, ist dem eigentlich nur wenig hinzuzufügen. Das soll nicht heißen, dass ich die Konferenz nicht genossen hätte - dazu gleich mehr -, sondern nur, dass die Stadt wirklich wenig zu bieten hat. Die World of Coca Cola habe ich ja schon mit ja schon hinlänglich mit fasziniertem Abscheu beschrieben, und sonst scheint da auch wenig sonst Touristen anzuziehen. Mit einer Ausnahme, dem Georgia Aquarium: Vor nicht allzu langer Zeit war es wohl das größte seiner Art, und selbst heute noch ist es wirklich sehr beeindruckend. Ich besuche Zoos und Aquarien sehr gern, wenn auch immer mit gemischten Gefühlen - eine gute Freundin hat in der Beziehung das Wort 'Tiergefängnis' unauslöschlich in mein Hirn gebrannt -, und auch hier habe ich mich oft gefragt, inwieweit es artgerecht sein kann, Tiere in dieser Form zu halten und auszustellen. Aber, ganz ehrlich: spätestens wenn ich durch ein acht Meter hohes und 24 Meter breites Fenster drei Walhaien beim Schwimmen zusehe, vergeht mir jede Kulturkritik. Und einen Ort, der einen Haie-Streichelzoo hat, muss man einfach mögen ...

Vom Aquarium aus den kurzen Weg in den eigentlichen Stadtkern zurückzulegen bedeutet dann aber eine schnelle und schmerzliche Rückkehr in die amerikanische Normalität. Ein Stück Weg führt durch den Olympia-Park, der ziemlich steinlastig ist, weil jeder Geldgeber seinen eigenen gravierten Pflasterstein bekommen hat und wohl die halbe USA zu dem Projekt beigetragen haben. Danach wird es dann richtig lauschig, wenn man zwischen der Amerikanischen Gesellschaft für Krebsforschung, Baustellen und Parkhäusern durch muss und sich die ganze Zeit über nur fragt, wo die zehntausende Menschen sind, die es braucht, um mehrere Häuserblocks mit fünfzehnstöckigen Parkhäusern zu füllen. Und wenn man dann in der Innenstadt ist, hat man fürs Mittagessen die Wahl zwischen Hooters und Hard Rock Café. Das war zwar einigermaßen amerikanisch und deshalb nur halb enttäuschend, aber ich sollte keinesfalls meckern, weil ich so wenigstens zu einem Foto von mir und der abgesägten Schrotflinte von Elvis gekommen bin. 

Und ab dem Beginn der Konferenz haben wir unser Hotel, das Georgian Terrace, auch eigentlich nur noch verlassen, um in der Kneipe auf der anderen Straßenseite einen Trinken zu gehen. Das Hotel schimpft sich selbst "der moderne Klassiker" unter den Hotels der Stadt. In erster Linie heißt das, dass man irgendwann an ein mittlerweile über hundert Jahre altes zehnstöckiges Hotel noch einen zweiten, doppelt so hohen Turm angebaut hat, und zwar auf die einzig logische Art. Von außen sieht man eigentlich keinen Unterschied, wenn man nicht drauf achtet, und von innen letztlich auch nicht. Anders gesagt: zwei Fahrstühle für zwanzig Stockwerke sind ein bisschen wenig. Der Eindruck entsteht einem nicht zuletzt, wenn man von ganz oben in den Lichthof über der Lobby runterschaut. Ab einer Höhe, bei der mir schwindlig wird, hätte ich gern andere Optionen als ein Treppenhaus oder zehn Minuten Wartezeit. Aber der Pool auf dem Dach hat eindeutig Miami Vice-Feeling durch den wirklich netten Blick auf die Stadt (auch wenn es da nicht viel zu sehen gibt, aber das hatte wir ja schon). Und vielleicht sind meine Erinnerungen an den Pool auch deshalb so positiv, weil wir an einem verhangenen Nachmittag mit mehreren Armen voll Dosenbier dort waren. Wer weiß.

Die ästhetische Theorie des großartig tätowierten John Sharp
Bevor jetzt jemand denkt, wir wären nur zum Spaß in Atlanta gewesen, muss ich entschieden auf die herausragende Qualität des wissenschaftlichen Programms hinweisen. Einige der Vorträge haben mich ... inspiriert, könnte man sagen. Unter Europäern gibt es das Vorurteil, dass Amerikaner generell lockerer wären als wir, was so ganz und gar nicht stimmt. Aber auf der Konferenz einer amerikanischen Vereinigung in Amerika gibt es einfach eine Menge amerikanischer Forscher, und viele von denen sind schon sehr entspannt drauf, wenn es um Wissenschaftlichkeit und Präsentationstechniken geht. Und davon können wir sicher einiges lernen.

Insgesamt, nicht nur was die Vertreter der Gastgeberlandes angeht, war die Konferenz voll von Rockstars - Rock, denn wo ich sonst mit komischem Bart und T-Shirt statt Anzug in Deutschland schon manchmal im Unibetrieb als Paradiesvogel auffalle, war ich hier einer der Normalos; und Stars, weil es eben ein Treffen der Crème de la Crème war. Nach einem halben Jahr als Diskussionspartner eines der Begründer des Faches habe ich mich schon einigermaßen daran gewöhnt, mit den großen Jungs (und Mädels) mitzuhalten und mich nicht beeindrucken zu lassen. Aber dadurch, dass es die Computerspielforschung im engeren Sinn erst so kurz gibt und selbst die Grundlagentexte vor der eigentlichen Fachgründung noch keine zwanzig Jahre alt sind, trifft man eben sehr viele große Namen. Ich könnte es nicht mit Gewissheit sagen, aber ich glaube nicht, dass ich während der Veranstaltung ein einziges Mal in einem Vortrag war, in dem nicht jemand auf dem Podium oder im Plenum gesessen hätte, den ich in meiner Dissertation zitiert hätte. Gerade bei den Podiumsdiskussionen hat das mitunter bizarre Ausmaße angenommen. Wenn es eine Philosophietagung gewesen wäre, hätten da Sokrates und Aristoteles vor den Leuten miteinander rumgestritten, Thomas von Aquin wäre per Skype zugeschaltet gewesen, Kant hätte zu moderieren versucht und Augustinus immer wieder aus dem Publikum dazwischengeblökt.

Podiumsdiskussion mit Sicart, Bogost, Mateas und Consalvo
Dass die Veranstaltung trotzdem nett war lag daran, dass die meisten dieser Rockstars eigentlich richtig nette Leute sind. Sie geben sich trotzdem als Rockstars, spielen ihre Rolle mit ihren sorgsam gefönten, gegelten oder verfilzten Haaren, sagen sich in Diskussionen ständig, was sie schon vor zehn Jahren zu dem Thema geschrieben haben, und bemühen sich dennoch, so unverkrampft zu wirken, wie es einem Akademiker eben möglich ist. Aber wenn sie einmal vom Podium unten sind, behandeln sie einen freundlich und ohne echte Überheblichkeit. Es hat sich die ganze Zeit angefühlt wie hinter der Bühne bei einem Festival: die großen Stars behandeln die Mitglieder selbst der jüngsten, unbekanntesten Band nicht wie Dreck, weil sie selbst noch wissen, wie sie angefangen haben, und dass wir alle nur wegen der Musik da sind. Und des Geldes. Und des Ruhms. Und, seien wir ehrlich, der Bräute. Aber hauptsächlich wegen der Musik. Wir sind eben alle Rockstars, wenn auch vielleicht nur kleine.

Und das ist etwas, dass ich in der deutschsprachigen Wissenschaft nicht nur nicht kenne, sondern mir beim besten Willen nicht vorstellen kann. Aber das ist wahrscheinlich das Thema für einen anderen Post ...

Montag, 26. August 2013

Der Tag des Kaltgetränks

Als ich letztes Jahr in Chicago und Milwaukee war, hat mich die USA schon in so mancher Hinsicht überrascht, und Atlanta setzt diesen Trend definitiv fort.

Unser Kongresshotel ist in Midtown, das heißt ein Stück nördlich von der eigentlichen Innenstadt, und hier gibt es keine echte Infrastruktur. Riesige Bürogebäude, Theater und Hotels säumen die Hauptstraßen, aber dazwischen ist oft nichts - bestenfalls Parkplätze, meist aber eher brachliegende Grundstücke oder Bauruinen. Mit anderen Spielexperten hier unterwegs zu sein bedeutet, sich ständig laut darüber zu wundern, dass es sich anfühlt wie in Grand Theft Auto, nur mit weniger Schusswechseln. Die Stadt wirkt gleichzeitig unfertig und heruntergekommen, vollkommen planlos zusammengezimmert und nur im weitesten Sinne bewohnt.

Die vielleicht größte Nähe zu Deutschland ist, dass man hier gerne und viel Geld für Autos ausgibt. Es scheint ein Zeichen extremer Armut zu sein, keine verchromten 20-Zoll Alufelgen zu haben. Man muss dann schon ein bisschen raus in die Wohnbezirke fahren, um auch mal etwas rustikalere Kraftfahrzeuge zu entdecken, aber auch die gibt es. Die meisten älteren Autos sind aber in bestem (vielleicht zu gutem) Zustand, oder anders gesagt: 'Pimp my Ride' ist hier mit Sicherheit ein großer, großer Ankommer. Und von den Motorräder will ich gar nicht anfangen.

Wir haben heute viel von der Stadt gesehen, nachdem wir an unserem ersten Abend nur noch in einer Kneipe direkt gegenüber vom Hotel noch einen (oder zwei) Trinken waren. Der Laden, das Publik, war eine echte Überraschung: richtig gutes Essen, die üblichen Fernseher mit Sportkanälen an jeder Ecke, eine total nette Transgender-Bedienung, ein Dutzend Fass- und doppelt so viele Flaschenbiere, ganz zu Schweigen von den etwa fünfzig Sorten Schnäpsen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir da heute Abend wieder landen ... Man hat hier, wie wir auf unserer heutigen Tour durch die Stadt gesehen haben, aber ohnehin eine sehr entspannte Einstellung zu Alkohol. Wir haben den größten, mehrfach preisgekrönten Schnapsladen der Stadt gefunden, der locker doppelt so groß war wie ein durchschnittlicher europäischer Innenstadt-Supermarkt. Als ich achtzehn war, habe ich mal einen Sommer lang in der Spirituosen-Abteilung des größten Supermarkts in unserer Stadt als Aushilfe gejobbt, und ich dachte eigentlich immer, ich hätte schon viel gesehen, aber ich war heute ehrlich beeindruckt.

Weniger beeindruckend als furchteinflößend war unser Hauptprogrammpunkt. Unser Kollege Frans Mäyrä wollte zur World of Coca Cola, und da sonst niemand einen ernstgemeinten Vorschlag hatte, sind wir nach einem ausgezeichneten Brunch in einem speckigen Diner namens 'Babs' einmal quer durch die Stadt gelaufen, um uns vom größten Getränkeproduzenten der Welt indoktrinieren zu lassen. Es ist ein Erlebnis, muss ich sagen, wenn auch eher eins von der unangenehmen Sorte. Wer dort hinkommt und nicht schon ein bisschen konsumkritisch eingestellt ist, wird es danach hoffentlich sein, obwohl man sich da sicher auch täuschen kann. Man könnte anhand dieser Ausstellung wahrscheinlich eine buchlange Analyse der amerikanischen Kultur und des Verständnisses von Betriebswirtschaft schreiben.

Immerhin haben wir die Kronjuwelen sehen dürfen, oder zumindest ihr Versteck. Herzstück der Ausstellung ist tatsächlich der Tresor, in dem angeblich die geheime Rezeptur aufbewahrt wird. Der Fingerabruckleser sieht zwar ziemlich nach Hollywood-Deko aus, aber die drei analogen und das digitale Zahlenschloss wirken andererseits ziemlich echt, also vielleicht war wenigstens das nicht gelogen. Aber unsereins durchschaut so eine Gehirnwäsche natürlich locker. Darüber werden wir heute Abend bestimmt auch noch ausgiebig lachen - über ein paar großen Gläsern köstlicher Coca Cola, schätze ich.


Sonntag, 25. August 2013

Wo die Straßen mit Coca Cola gepflastert sind

Ja, ich vernachlässige dieses Blog sträflich. Ich gebe es offen zu. Und natürlich denke ich darüber nach, was damit passieren wird, wenn ich in etwas über einem Monat aus Dänemark zurück komme.

Wenn ich etwas über das Bloggen gelernt habe, dann, dass es ebensoviele gute Gründe gibt, nicht zu schreiben wie Gründe zu schreiben. Diesen Post schreibe ich beispielsweise noch schnell auf meinem Telefon, bevor ich mich ins nächste Flugzeug schwinge und nach Atlanta aufmache. Mal sehen, wie dort das WLAN ist - hoffentlich kann ich mich von dort mit ein paar Südstaaten-Impressionen melden!

Auf nach Georgia!

... oder vielmehr: Grüße aus Georgia! Da dieser Eintrag heute morgen irgendwie nicht hochgeladen werden konnte, kann ich mich jetzt schon gleich richtig aus den USA melden. Mein erster Eindruck: schaurig. Aber dazu die Tage mehr ...

Mittwoch, 7. August 2013

Blick zurück im Schweiß

Auch wenn ich schon über eine Woche aus Paris zurück bin, habe ich die Zeit dort noch nicht wirklich aufgearbeitet. Physisch, meine ich. Da die Pariser ihre Stadt ja pünktlich zum Generalferienbeginn verlassen wie die Tauben den Schlag, ist man dort in keinster Weise auf dem Umgang mit Hitze eingestellt. Pariser vier-Sterne-Hotels haben nicht unbedingt eine Klimaanlage – warum auch? Unis schon gar nicht. Dementsprechend sind wahrscheinlich sämtliche Kongressteilnehmer noch immer damit beschäftigt, ihren Wasserhaushalt nach einer Woche in der Sauna der Sorbonne zu regulieren. Alle Einheimischen haben uns versichert, dass das Wetter völlig untypisch wäre, eine Hitzewelle, wie man sie seit Jahren nicht gehabt hätte, aber solange wir mit dem Kongress in Paris waren, hatten wir über 35 Grad. So ein Hundstage-Erlebnis ist nichts, was man seinem schlimmsten Feind wünscht, aber es hat auch sein Gutes: Wenn meine Kopenhagener Kollegen gerade wieder über die unerträglich heißen 25 Grad bei kühler Brise jammern, kann ich still und weise vor mich hin lächeln.

Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich mich aber nach ein paar Tagen an die trockene Hitze gewöhnt. In der Sonne war es so wenig auszuhalten wie im Nahen Osten, und in den schwitzigen, fensterlosen Seminarräumen wurde es schnell so lauschig wie in Korea zur Regenzeit, doch es gab genügend schattige und trockene Eckchen, um zwischendrin etwas abzukühlen. Wenn man sich an einen ruhigeren Rhythmus gewöhnt und mindestens drei Liter trinkt, geht das dann auch. Und immerhin hatte ich, so ziemlich als einziger, ein Hotel mit Klimaanlage. Dadurch – und weil die übriggebliebenen Pariser größtenteils entspannter und freundlicher waren als die, die ich sonst im Frühjahr oder Herbst dort angetroffen habe – hat mir Paris im Hochsommer erstaunlich gut gefallen. Was aber auch an der Ecke lag, in der wir untergekommen sind: das 17. Arrondissement, direkt nördlich von Arc de Tripomphe und Champs Elysées, ist wahrscheinlich die normalste und netteste Ecke der Stadt, in der ich bis jetzt war. 
 Meine Befürchtungen bezüglich des Kongresses waren auch völlig unbegründet. Gut, die wissenschaftliche Qualität war sehr durchwachsen, aber das ist bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung wohl unvermeidlich (auch wenn ich da ein paar Ideen hätte ...). Von den etwa 1200 erwarteten Vortragenden ist wohl etwa ein Drittel nicht gekommen, was mehr Schwund war, als irgendwer erwartet hätte, doch wirklich traurig war keiner darüber, weil das Programm eigentlich viel zu voll war und wir auf diese Weise wenigstens manchmal Zeit für Diskussionen hatten. Das Problem war nur, dass sich die Ausfälle völlig unregelmäßig verteilt haben. Während manche Leutchen neunzig Minuten (und einen großen Hörsaal) für sich allein hatten, sind andere in kleinen Räumen zu fünft gewesen. Dazu könnte ich ein paar Geschichten erzählen ... aber nicht schriftlich, denn dafür war es dann doch oft zu extrem.    

Letztlich hat mich der Aufenthalt in Paris in zweifacher Hinsicht positiv überrascht: Zum einen haben wir Privates und Dienstliches gut unter einen Hut bekommen. Vor fünf Jahren haben wir schon einmal versucht, eine Tagung und einen Urlaub miteinander zu verschränken, und das hat damals nur bedingt funktioniert. Diesmal ließ sich das besser koordinieren, und wir haben z.B. einen richtig tollen Tag im Louvre verbracht. Zum anderen bin ich mittlerweile in unserem Fachverband ausgesprochen integriert. Noch letztes Jahr hatte ich das Gefühl, einer von den Kleinen zu sein, nicht wirklich dazu zu gehören, und schon am ersten Konferenztag ist mir der Eindruck ausgetrieben worden. Der erste Tag solcher Großkongresse ist normalerweise so organisiert, dass man sich vormittags anmeldet und dann im Laufe des Nachmittags die Veranstaltung eröffnet wird. Deshalb war ich schon um zehn vor Ort, weil ich bis zur Eröffnungsveranstaltung um drei noch ein bisschen in die Stadt wollte. Dann bin ich aber gleich in den ersten Kollegen hineingelaufen, den ich kannte, dann kamen zwei dazu, dann weitere drei, dann war da noch eine andere Gruppe, der ich Hallo sagen musste, und beim ersten (und einzigen) Versuch, mich abzuseilen, bin ich dann im Eingangsbereich gleich den nächsten Bekannten in die Arme gelaufen, und dann habe ich aufgegeben und bin geblieben – ohne es zu bereuen, denn es war wirklich nett, alle wiederzusehen. Diese Weltkongresse haben so ein bisschen was von Klassentreffen, und wenn man einmal im inneren Zirkel angekommen ist, kennt man gleich dreißig Leute recht gut, aber auch deren Vorgänger, Freunde und Partner. Und dann lernt man Leute mit ähnlichen Interessen kennen und trifft die wieder. Und auch die kennen wieder wen, den sie einem vorstellen, und der sich dann auch an einen erinnert ... So sehr ich virtuelle soziale Netzwerke hasse, weiß ich dieses persönliche Variante sehr zu schätzen. Und im Moment freue ich mich sogar darauf, diese Leute wiederzusehen.

Nur gut, dass ich das in drei Jahren wieder verdrängt haben werde.

Montag, 15. Juli 2013

... und andere Städte haben auch Sommer

Auch wenn ich es nur ungern zugebe: ich bin aufgeregt. In ein paar Stunden steige ich in den Zug nach Paris, und da bin ich dann für neun Tage auf dem Weltkongress des internationalen Komparatistikverbandes. Und nein: das ist kein Urlaub!

Solche langen Kongressreisen sind immer stressig, und obwohl die Bedingungen schon viel schlimmer waren als hier, habe ich dieses Mal überhaupt keine Lust. Im Vorfeld habe ich mich viel zu viel über die Kongressorganisatoren geärgert, die ziemlich wenig Lust zu haben schienen, mit den Teilnehmern zu reden. Paris bei dreißig Grad ist auch nicht gerade ein Anreiz zur Freude, schon gar nicht, wenn ich mich ein- oder zweimal in einen Anzug zwängen muss. Und dann sind da die ganzen offenen Fragen, die auf mich zukommen, weil ich ja nicht einfach nur als Wissenschaftler zu dem Kongress fahre, sondern als Offizieller eines Verbandes. Vor allem darauf könnte ich gut verzichten.

Meine Eltern haben mich ja immer davor gewarnt, einem Verein beizutreten. Egal worum es im Verein eigentlich gehen sollte, haben sie mir gesagt, geht es eigentlich immer nur darum, dass irgendwer sich Vorteile verschaffen will, für die im Idealfall irgendwer sonst die Arbeit macht. Nun ist meine Familie nicht unbedingt durch Leutseligkeit und Philanthropie ausgezeichnet – man könnte auch sagen, dass wir ein ziemlich misstrauischer Haufen sind –, aber ich denke, an dieser Lektion ist viel Wahres dran. In den letzten paar Jahren haben mich Kollegen für mehrere solcher Verbände oder Interessengemeinschaften angeworben, und tatsächlich scheint es, wie immer im Leben, nur drei Möglichkeiten zu geben: erstens kann man sich völlig bedeckt halten oder, noch besser, stets tot stellen, wodurch man niemandem auffällt außer den Organisatoren, die sich über einen ärgern; zweitens kann man sich nur immer zu Wort melden, wenn es wichtig zu sein scheint, und dann strategisch anderen Recht geben und Sätze wie "wir sollten das genauso tun, wie X vorgeschlagen hat" fallen lassen, weil das impliziert, dass X jetzt auch die Arbeit macht; und drittens kann man selbst X sein, also durch eigenes Verschulden oder maliziöse Intrige anderer in die Position kommen, ständig Arbeit machen zu müssen, die man jetzt wirklich überhaupt nicht gebrauchen kann.

In diesem Verein hier bin ich in der dritten Position. Zwei Jahre lang habe ich mir jetzt, neben allem anderen, den Kopf darüber zerbrochen, wie unser Verband attraktiver für neue Mitglieder werden kann, und übermorgen präsentiere ich dann meinen elfseitigen Bericht. Es werden ein paar Leute für und ein paar gegen die Vorschläge sein, aber was mich eigentlich nervös macht, ist dass ich noch keine Ahnung habe, wie ich aus der Nummer ohne zusätzliche Arbeit herauskomme. "Ich habe den Plan gemacht, die Arbeit soll sonstwer erledigen" könnte als Argument ein bisschen dünn sein ...

Ein Gutes hat es aber natürlich, so ein völliger Schwarzseher und Angsthase wie ich zu sein: es kann eigentlich gar nicht schlimmer kommen, als ich es mir vorstelle. Wenn ich mir's genau bedenke, macht mich aber das "Eigentlich" in dem Satz ganz schön nervös ;-)

Dienstag, 2. Juli 2013

Sommer in der Stadt

Spätestens seit meinen letzten Posts dürfte unmissverständlich klar geworden sein, dass von mir nicht viel touristische Geheimtipps für die vielleicht netteste, lebenswerteste Metropole Europas zu erwarten sind. Ich entschuldige mich in aller Form.

Aber immerhin kann ich allen zukünftigen Kopenhagen-Besuchern ein paar praktische Merkwürdigkeiten mit auf den Weg geben. Was einen als Gast in dieser Stadt positiv überraschen dürfte, ist die geringe Größe der eigentlichen Stadt und die damit unvermeidlich zentrale Lage von Sehenswürdigkeiten oder einfach nur schönen Ecken. Die Niels Hemmingens Gade zum Beispiel ist eine Nebenstraße der Shopping-Meile Ströget, in der man nach ein paar Metern wunderschöne alte Fachwerkbauten findet, die als Wohn- und Geschäftshäuser ganz normal genutzt werden. Spektakulär ist das sicher nicht, aber heimelig.

Ausgesprochen merkwürdig ist aber die Vorstellung, die man hier von organisiertem Tourismus hat - das lokale Fremdenverkehrsamt scheint jedenfalls mit bestenfalls einer Halbtagsstelle ausgestattet zu sein, bei der seit Jahren die Schwangerschaftsvertretung im Krankenschein ist. Anders gesagt könnte man den Eindruck bekommen, dass - wie in vielen Hauptstädten - alle Einheimischen im Sommer außerhalb Urlaub machen und deshalb - wie nicht unbedingt in allen Hauptstädten - die Bürgersteige hochgeklappt werden. Wer kommt schon nach Kopenhagen? Und wer braucht den öffentlichen Nahverkehr, wenn doch eh alle Einheimischen Rad fahren. Also wird kurzerhand (mit drei Tagen Vorwarnung) die Metro für zwei Monate außerhalb der Kernzeiten durch Busse ersetzt. Da fühle ich mich doch direkt wie daheim bei der guten DB, wenn es am Bahnsteig heißt: "Für eventuell entstehende Unannehmlichkeiten möchten wir uns entschuldigen." Mhm, wie kommen die darauf, dass es ein Problem sein könnte, die alle fünf Minuten fahrende Metro durch halbstündliche Busse zu ersetzen?

Oder, auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, das weithin beworbene Tycho-Brahe Planetarium. Name und Verpackung sind vielversprechend, beworben wird es (wie eigentlich alles hier) als "das größte Skandinaviens", und umso mehr reibt sich der arglose Tourist die Augen, wenn er durch die fünf lieblos ans IMAX angepappten Ausstellungsräume voller ausschließlich dänisch beschrifteter Exponate geht und dann mit den Einheimischen Reise nach Jerusalem um einen Sitzplatz spielt, wenn er eine Stunde wartet, bis er endlich ins Kino darf, wo einen dann statt 15.1-Surround ein Kopfhörer mit englischer Tonspur erwartet, auf der ein misslauniger Däne lustlos die Sternguckerei belabert. Ein touristisches Highlight sieht anders aus.

Aber man kann eben gut spazieren gehen, und das aus lang und ausgiebig. Noch ein Grund mehr, warum man die Metro einfach mal in Sommerferien schicken kann. Es ist ja schließlich polarsommerlich lange hell - da kann man auch mal mitten in der Nacht ein paar Stunden zu Fuß gehen. Außerdem sind von morgen an alle unter Fünfundzwanzig eh in Roskilde, da werden dann wahrscheinlich auch noch die S-Bahnen und Regionalzüge eingemottet. Bevor mich jemand falsch versteht: Ich kann mich damit gut arrangieren, weil ich lange genug hier bin und mich mit der zwischen Zwangsneurose und Generalarschlecken oszillierenden Mentalität angefreundet habe, aber wenn ich mir vorstelle, hier früh morgens als Touri aus dem Flugzeug zu steigen und einen freundlichen Aufsteller statt eines Zugs am Bahnsteig zu finden ... Was ein Glück, dass einem nur in schlechten Filmen einfach so der Kopf explodiert.

Den Eingeborenen fällt auch so manches auf, nur weiß ich, wie meistens, nicht wirklich, was sie mir sagen wollen. Und so wirklich einig scheinen sie sich auch nicht zu sein.



Das erklärt wahrscheinlich aber auch so manches!

Freitag, 28. Juni 2013

Gelebtes Brauchtum in der Metro

Seit diesem Wochenende habe ich ein Rätsel mit mir herumgeschleppt, dass ich mir eben erst von meinen dänischen Kollegen Rune habe lösen lassen können. Wenn man, wie ich, statt mit dem Rad mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, bekommt man von Kopenhagen leicht den Eindruck einer durch und durch versoffenen Stadt. Spätestens ab Feierabend-Zeit sind immer ein paar angeschickerte bis volltrunkene Zeitgenossen unterwegs, und in den letzten Tagen hatten auffällig viele von denen eine sehr sonderbare Kopfbedeckung auf. Heute morgen in der Metro war dann die kritische Masse erreicht, und ich musste einfach ein Bild machen.


Da ich ja langsam, aber sicher den Eindruck gewinne, jeglichen Anschluss an Modetrends zu verlieren - nicht in dem Sinn, dass ich Dinge selbst tragen würde, sondern einfach nur, zu verstehen, was gerade angesagt ist -, war ich vollständig darauf gefasst, dass das der neueste Copenhagen Style wäre. Selbst Rune, der König der Hipster, findet die Mützen aber uncool. In der Hinsicht bin ich also beruhigt.

Es handelt sich um Schulabgängermützen. Die Farbe des Bandes zeigt die Art des Abschlusses an. Auf der Rückseite ist der Name des Absolventen aufgedruckt oder -gestickt, und ins Zentrum der Innenseite schreibt man seine Abschlussnote. Offensichtlich sind eine ganze Menge Rituale mit der Mütze verknüpft. Man trägt sie direkt bei der Zeugnisverleihung und bei öffentlichen Auftritten. Da wir in Skandinavien sind, haben die meistens auch ganz offiziell etwas mit Alkoholkonsum zu tun. Viele Klassen mieten sich wohl einen Laster oder Bus und lassen sich dann zu den Häusern aller Klassenkameraden fahren, wo die Eltern Smörrebröd und Gammel Dansk servieren. Zwanzig, dreißig Eltern später hat man dann seine erste Lektion in Demut gelernt und ist reif, in die Erwachsenenwelt entlassen zu werden (und nie wieder so viel zu trinken).

Die coolen Kinder abenteuerlustigen unter den jungen Menschen bringen ihre Mützen dann auch zu den Partys in den kommenden Wochen mit, und ab da wird es dann vollends ritualistisch. Wer die Nacht durchmacht und die Sonne aufgehen sieht (was hier ja zur Sommersonnenwende schon um vier ist), darf sich mit der Schere ein kleines Dreieck in den Mützenschirm schneiden. Wer einen Kasten Bier allein trinkt, verdient sich ein Quadrat. Wer kotzen muss ... nun, es spricht für Rune, dass er nicht wusste, welches Symbol man sich damit verdient, aber das ist dann wohl die Schnittmarke, die einem von den anderen verpasst wird.

Überhaupt kommuniziert man auch über die Mütze. Freunde schreiben sich gegenseitig Nachrichten in die Innenseite, und Schwärme und Flammen dürfen ihre Abschiedsgrüße (oder Wiedersehenswünsche) hinterm Schweißband verstecken. Wenn also einen Dänen kennenlernen will, muss herausfinden, was er unter der Mütze hat ...

Dienstag, 25. Juni 2013

Junimond

Seit Jahresanfang habe ich immer, wenn ich durch meinen Kalender geblättert habe, begehrlich auf den Juni geschielt. Wo sonst der Platz oft nicht reicht, war der Juni herrlich öd und leer. Monatelang habe ich mir ausgemalt, mit welchen wundervollen Inhalten sich dieser Zeitraum füllen würde, wie ich mit Bedacht und Genuss Freiheit in Beschäftigung eintauschen würde.

Natürlich ist der Monat gekommen und fast schon wieder gegangen, ohne dass ich es auch nur richtig gemerkt habe. Ich bin überhaupt nicht unzufrieden mit dem wirklichen Juni - ganz im Gegenteil -, aber bei jedem Blick in den Kalender kommt kurz die Erinnerung an die unbestimmte Vorfreude zurück, ganz sanft, wie ein süßer Nachgeschmack, ein lauer Windhauch. Da kann die zufriedene Erkenntnis, fleißig und produktiv gewesen zu sein, natürlich nicht mithalten.

Immerhin habe ich im Juni eine Menge Altlasten abgearbeitet. Zwei Baustellen im gleichen Stil schiebe ich zwar noch vor mir her, aber während ich jetzt gerade fast zwei Monate damit zugebracht habe, zwei hingeschlampte Aufsätze komplett zu überarbeiten, ist die Aussicht auf ein, zwei Tage Literaturangaben vervollständigen fast schon entspannend. Vorher muss ich nur noch einen der Vorträge schreiben, die ich in drei Wochen in Paris halte. Und ein paar praktische Dinge erledigen (schauder).

Wer mich länger kennt, weiß von meiner recht eingeschränkten Genussfähigkeit für Reisen. Aphoristisch ausgedrückt ist das schönste am Reisen für mich - mit Abstand - das Heimkommen. Ähnlich wie beim Skifahren bestreite ich ja gar nicht den Reiz der Sache an sich, sondern komme schlichtweg nicht über das Gefühl einer gewissen Unverhältnismäßigkeit weg: wochenlang Arbeiten, stunden- oder tagelang planen, nur um die Unbequemlichkeit von Verkehrsmitteln ertragen zu müssen und endlich, für ein paar Tage, etwas Neues zu sehen. Das ist wie frierend, in zu engen Stiefeln einen Hang hinaufgezerrt zu werden, nur um ihn dann wieder hinunterzufahren - vielleicht nicht sinnlos, aber im Hinblick auf praktischen Nutzen fragwürdig.


Jedenfalls gehört Reiseplanung in mein ganz persönliche Pandämonium von Dingen, zu denen man mich zwingen muss (wie Friseur- und Zahnarztbesuche). Gestern habe ich den Großteil eines Tages damit verbracht, Flugverbindungen und Hotels für meine nächsten Dienstreisen herauszusuchen. Um es mal so zu sagen: ohnehin schon zwischen zwei Städten hin und her zu pendeln, macht die Sache nicht unbedingt leichter. Und die Ziele sind zum Teil auch eher ungewöhnlich. Aber wenigstens ist mir dann, als ich eigentlich hätte buchen können, immer aufgefallen, dass ich noch eine wichtige Kleinigkeit nicht weiß und deshalb noch warten muss, bevor ich Nägel mit Köpfen machen kann. So habe ich dann auch noch ein bisschen Zeit um mir zu überlegen, ob es mich nervös machen sollte, dass die Lufthansa den einzigen Flughafen Transsylvaniens immer um kurz nach Mitternacht anfliegt. Wir werden sehen. 

Freitag, 14. Juni 2013

Auf zu grünen Ufern

Gestern habe ich mir die Zeit genommen und meine Website mal wieder ein bisschen gepflegt. Es ist für die arme Akademikerseele immer ganz tröstlich, nach zwei Wochen mühsamer Kleinarbeit an einem hoffnungslosen Aufsatz Bilanz zu ziehen und zu sehen, dass es auch Erfolge und Ergebnisse gibt. Wenn alles läuft wie geplant, werde ich Ende des Jahres 29 wissenschaftliche Vorträge in 10 Ländern gehalten haben, zwar über einen Zeitraum von sieben Jahren, aber immerhin. Bei den Aufsätzen müsste ich bis Ende des Jahres die Dreißig knacken, und für nächstes Jahr sind schon fünf weitere in der Mache ... ich war also nicht faul.

Wenn ich erst einmal meinen monumentalen Kanon-Aufsatz zu Ende gebracht habe – dazu mehr, wenn ich das Trauma überwunden habe –, muss ich zwar noch ein paar andere Baustellen abarbeiten, aber auf die meisten davon freue ich mich schon. Besonders gespannt bin ich aber auf mein einzig echt neues Projekt für dieses Jahr: ein Konzept für ökologische Analysen von Computerspielen. Die Arbeit an den Computerspiel-Zombies in den letzten Monaten war sehr lustig, aufschlussreich und interessant, aber eigentlich bin ich kein Experte für Zombies. Andere haben da einen viel breiteren (und blutigeren) Horizont. Und, was noch viel entscheidender ist, es gibt schon so viel Literatur zu Horror in Spielen. Man könnte fast sagen, dass es der einzige Themenbereich ist, der überhaupt gut erforscht ist. Natürlich bin ich da nicht mit allem einverstanden, was ich gelesen habe – eigentlich sogar mit relativ wenig –, aber es ist anstrengend, immer dagegen zu sein, immer andere widerlegen zu müssen.

Mit der Ökokritik kann ich mal der erste sein, denke ich. Bis jetzt habe ich jedenfalls noch keine Forschung dazu gefunden, was auch nicht weiter überraschend ist, weil dieser Ansatz auch für Literatur erst zwanzig Jahre lang zum Einsatz kommt und erst vor kurzem in der Filmwissenschaft aufgenommen worden ist. Nachdem ich in den letzten Jahren hauptsächlich auf theoretischer Ebene mit verschiedenen Medien gearbeitet habe, ist das hier ein vergleichsweise praktisches Projekt. Die literarische Ökokritik ist nicht wahnsinnig theorielastig, und ihre Beobachtungen lassen sich, soweit ich das bis jetzt überblicke, recht einfach auf ihre Anwendbarkeit für Spiele überprüfen.

So ist eine der zentralen Beobachtungen dieser Forschungsrichtung, dass Naturbeschreibungen in Erzählliteratur viel mehr sind als bloßes Setting, und dass sich darin eine intensive Auseinandersetzung mit Natur-Mensch-Verhältnissen festmachen lässt. Das mag für Computerspiele zwar abwegig klingen, ist aber – die medialen Unterschiede mal beiseite gelassen – auch da zu beobachten. Wenn in Frogger in den frühen 80ern ein Frosch über eine vielbefahrene Straße gesteuert werden muss, ist das definitiv eine Auseinandersetzung mit Natur und Umwelt.

Was ich wirklich faszinierend finde, sind aber vielmehr die Spiele, die den Spieler bewusst in einen moralischen Zwiespalt bringen. Mein Kopenhagener Kollege Miguel Sicart hat in seinem exzellenten The Ethics of Computer Games die Beobachtung aufgestellt, dass ein wirklich ethisch interessantes Computerspiel den Spieler zum Nachdenken anregen muss, indem es ihn (wenn auch nur virtuell) in eine unmögliche Situation bringt. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist Red Dead Redemption, das uns in Dialogen daran erinnert, dass die Büffel im Wilden Westen fast ausgestorben sind und damit an unser Ökogewissen appelliert. Es gibt aber ein Achievement, eine Auszeichnung für den Spieler, wenn alle Büffel abgeschossen werden. Dessen Titel, "Manifest Destiny," ist ein ironischer Kommentar auf die amerikanische Besiedelungspolitik des Westens, die Rücksichtslosigkeit gegenüber Natur und Ureinwohnern, und ist damit wenn schon keine Abschreckung, so doch zumindest ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir vielleicht dieses spezielle Achievement nicht erreichen wollen. Gleichzeitig ist das implizite Ziel jedes Open-World-Spiels, alle Möglichkeiten der virtuellen Welt ausgeschöpft zu haben, und der Beleg dafür sind eben die Achievements. Red Dead Redemption bringt den Spieler also in die Situation, zwischen Ökogewissen und Ehrgeiz wählen zu müssen, die jeweilige Entscheidung zu rechtfertigen, vor sich selbst und vor Freunden, die das Achievement oder sein Fehlen bemerken, und zwingt damit ganz von selbst, ohne erhobenen Zeigefinger, zur Auseinandersetzung mit dem sonst so leicht zu verurteilenden moralischen Fehlverhalten der amerikanischen Siedler.

Wie man sieht, fällt es mir nicht schwer, zu dem Thema etwas zu sagen, und deshalb freue ich mich schon darauf, in kurzer Zeit einen simplen, aber dennoch sinnvollen Aufsatz darüber schreiben zu können. Wenn es doch nur immer so einfach sein könnte ...

Mittwoch, 5. Juni 2013

Der Blog ist tot - es lebe der Blog

So kann es nicht weitergehen.  Oder vielmehr: Weder so noch so kann es weitergehen.

Da breche ich mir einen ab, jede Woche einen gehaltvollen Blogpost zu schreiben, und was ist die Reaktion? "Du schreibst zu oft, ich komme gar nicht nach mit lesen." "Deine Posts sind so lang, da muss ich meine Mittagspause überziehen." "Ich bin immernoch im Februar."Also gebe ich mir eine Woche frei. Und plötzlich sind vier Wochen rum, ohne dass ich geschrieben habe. Wer, bitte, hat an da an der Uhr gedreht?

Meine verzweifelten Versuche, es in der letzten Woche zu einem Blogpost zu bringen, sind größtenteils an meinem aktuellen Tagesablauf gescheitert. Ich schreibe nämlich gerade einen Aufsatz zum zweiten Mal. Die erste Fassung ist drei Jahre alt und war ein kleiner, nicht ganz ernst gemeinter Vortragstext. Nach einem Jahr sollte der dann plötzlich in einer renommierten Fachzeitschrift erscheinen und musste ganz schnell ergänzt und überarbeitet werden. Es hat dann zwei Jahre gedauert, bis ich wieder von der Redaktion der Zeitschrift gehört habe (und - hier ist die Pointe - ich bin der erste Beiträger für dieses Heft, bei dem sie sich bis jetzt gemeldet haben). Der Chefredakteur war zwischendrin schwer krank, was natürlich viel entschuldigt, aber die Bearbeitungszeit relativiert sich auch aus dem Grund, dass er mir für einen achtzehn Seiten langen Aufsatz über zwanzig Seiten Bemerkungen geschickt hat. Und zwar in einer E-Mail, als Fließtext. Wir leben schließlich nicht im 21. Jahrhundert, wo man Anmerkungen in eine Textverarbeitungsdatei einarbeiten kann. Da der Kollege aber mittlerweile jenseits der Siebzig sein dürfte, habe ich mich schon gefragt, ob nicht ein Teil der Bearbeitungszeit daher rührt, dass seine Sekretärin erst noch seine handschriftlichen Notizen abtippen musste ...

Nachdem ich zwei Wochen lang ernsthaft überlegt habe, alles Renommee in den Wind zu schießen und den Aufsatz zurückzuziehen, habe ich das einzig männliche getan und den Aufsatz noch einmal neu geschrieben, von Anfang an. Ich verwerte natürlich Teile der ersten Fassung wieder - bis jetzt ganze zwei Nebensätze. Ich weiß nicht, wann in meinem Leben ich zuletzt so verunsichert vor dem Computer gesessen habe. Normalerweise schreibe ich auch nicht schnell, wenn es um wissenschaftliche Texte geht, aber im Moment ist es einfach lächerlich. Heute habe ich es auf sechshundert Wörter gebracht, und zwar in - Pausen abgezogen - vollen acht Stunden Arbeit. Das sind durchschnittlich eineinviertel Worte pro Minute. Wenn ich mir das so auf der gedanklichen Zunge zergehen lasse, fällt mir dazu ein Wort ein, für das ich keine Minute zum Schreiben brauche.

Agonie.

Tatsächlich: zwei Sekunden. In dem Tempo hätte ich also heute 14.400 Worte schreiben können. Multipliziert man das mit den sechs Tagen, die ich jetzt am Stück, zehn bis vierzehn Stunden am Tag am Schreibtisch verbracht habe, müsste ich also bei 86.400 Worten sein. Nach E. M. Forster's immer nützlicher Definition hat ein Roman mindestens 50.000 Worte; für diejenigen, die meinen, ich würde hier immer Romane schreiben, sollte das der ausreichende Gegenbeweis sein. (Tatsächlich geschrieben habe ich immerhin gut 4000 Worte in der Zeit. Es geht manchmal also doch etwas zügiger. Der Text ist aber auch bestenfalls halb fertig.)

Worauf ich eigentlich hinaus wollte? Nun ja, auch nach fast vier Jahrzehnten intensiver Lektüre von Superheldencomics habe ich weder meinen Körper noch meinen Geist genug gestählt, als dass ich so eine Ochsentour unbeschadet überstehen würde. Aktuell fühlt sich mein Nacken so geschmeidig an, als hätte sich eine Schildkröte in meinem T-Shirt versteckt. Wäre auch logisch, weil sie auf diesem Wege an meine matschige Rübe herankäme ... Anders gesagt: Rein körperlich verstehe ich gut, wie Kafka auf den Gedanken gekommen ist, eines Morgens als Insekt aufzuwachen. (Kleiner Internet-Tipp: Macht keine Google-Bildersuche nach "Turtle Man". Echt nicht. Kein schöner Anblick. Schon zurück? Hab ich doch gesagt, oder?)

Wo war ich? Schildkröte, richtig. Worauf ich die ganze Zeit hinaus wollte, war eine neue Blog-Politik. Ich habe mir vorgenommen, jetzt eben keine langen Einträge mehr zu schreiben, sondern öfter mal kurze oder ganz kurze. Vielleicht einen Anti-Twitter-Post mit weniger als 140 Zeichen. Vielleicht sollte ich mein eigenes Micro-Blogging-Portal aufmachen, auf dem man nicht total wenig, sondern total langsam schreiben muss. Für Schildkröten-Blogger, sozusagen. Und statt einem Tweet schickt man dann einen Turt. Na ja, daran muss ich wohl noch arbeiten.

Das mit dem Kurzfassen mach ich aber doch schon ganz gut, oder?

Mittwoch, 8. Mai 2013

Nach dem Seminar ist vor dem Seminar

Gestern hat der Sommer hier sein Näschen gezeigt. Genau wie die gewöhnlichen Sterblichen hier ist er ein hellerer Typ, rotblond, robust, und so richtig viel Sonne verträgt er nicht. 

Am Freitag war es schon nett und auch für mitteleuropäische Verhältnisse frühlingshaft. Statt um sechs in der universitätseigenen Kneipe ein Bierchen zu zischen, war jeder auch nur ansatzweise lebendige Teil der Studentenschaft schon um zwei in der Sonne vorm Gebäude. Um drei war‘s richtig laut, ab vier war singen angesagt, und als um sechs der Vorplatz im Halbschatten lag, waren nur noch ein paar versprengte leere Weinflaschen übrig. Am Wochenende war ich wahrscheinlich der einzige Mensch in langen Hosen in Kopenhagen. Gestern hat das Thermometer dann tropische 22 Grad erreicht, und der durchschnittliche Wikinger fängt an, unter der Hitze zu stöhnen. Mein Bürokollege Rune hat sich um halb vier mit den Worten verabschiedet: "Ich hab die Schnauze voll. Ich schwitze jetzt schon seit zwei Stunden wie ein Schwein." Man hat hier halt andere Maßstäbe. Das gilt auch für die Architektur. Unser wunderschönes Unigebäude ist offiziell ein Niederenergie-Gebäude. Das ist dänisch für: Wir bauen ein fünfstöckiges Treibhaus ohne Klimaanlage, weil das im Winter Heizkosten spart und in den zwei Sommermonaten eh alle in Urlaub sind. Und wenn nicht, sorgen die schmelzenden Mitarbeiter auf der Südseite für ein angenehmes Mikroklima.


Nach dem einen Sommertag sieht‘s heute übrigens so aus. Die Leute packen, das ist kein Scherz, ihre Wollmützen wieder aus. Rune hat es, genau wie ich, mitten in einem Gewitterschutt zur Uni geschafft. Und weil es ja bekanntlich kein schlechtes Wetter sondern nur unpassende Kleidung gibt, sitzt der Gute jetzt in seiner Unterwäsche am Schreibtisch gegenüber, und seine Klamotten sind durchs Büro verteilt. Anpassungsfähiges Volk, die Dänen.



Nicht nur im Wetterbericht gibt es hier Veränderungen. Gute drei Monate nach Beginn meines Forschungsaufenthalts in Dänemark hat er endlich auch im engeren Sinn begonnen. Klingt paradox? Nicht wirklich.

Gestern war offiziell unsere letzte Seminarsitzung für dieses Semester.  Seminarvorbereitung ist nicht vor Ende August wieder fällig, und bis dahin kann ich dann tatsächlich forschen! Das heißt, dass ich ab jetzt zwar weiterhin fleißig Dinge lerne, sie aber nicht direkt für die Studis aufbereiten muss. Es macht einen enormen Unterschied, ob ich einen Aufsatz oder ein Buch daraufhin lese, was ich daraus für einen speziellen Zweck (wie einen eigenen Aufsatz) verwenden kann, oder ob ich den gleichen Text zum Unterrichten benutze. Auch ich schreibe mit Sicherheit nicht immer publikumsfreundlich – dieser Blog ist Beweis genug –, aber viele meiner Kollegen kümmern sich nicht darum, verstanden zu werden. Manche Aufsätze lesen sich wie schlechte Erstsemester-Hausarbeiten – nicht, weil die Kollegen inhaltlich daneben liegen, sondern weil die oberste Maxime ihres Handelns zu sein scheint, möglichst viele Fremdwörter zu verketten. Geschwollen und nebulös ist nicht wissenschaftlich, aber das sieht nicht jeder so. Wie ein berühmter roter Kater (nicht er hier, sein fetter, gezeichneter Cousin) es so schön gesagt hat: „Verwirre sie, wenn du sie nicht überzeugen kannst.“

Jedenfalls verbringe ich während der Semester viel Zeit damit, solche inhaltlich guten aber schwer verständlichen Texte greifbar zu machen. Das Ergebnis sind dann Präsentationen, die einen Überblick von Elementen des Computerspiels oder Zeitkonzepten geben sollen. Ob es das wirklich besser macht, darüber streiten sich die Götter (zumindest die der Didaktik). Ich denke immer, dass es für andere nicht schaden kann, solange ich das Gefühl habe, selbst noch etwas dabei zu lernen.

Und was mache ich, wenn ich keine Präsentationen für Seminare zusammenzimmere? Richtig: Präsentationen für Vorträge wie den, den ich am Freitag in Dortmund halten werde. Der große Unterschied ist, dass ich hier mit der Präsentation anfange und tatsächlich am visuellen Material meine Argumentation entwickle. Das ist intuitiv und geht meistens recht schnell, vor allem, wenn man sich wie ich oft beim Schreiben an Details aufhängt. Der rote Faden wird mir auf diese Weise viel klarer. Das Problem ist nur, dass ich danach den roten Faden aufschreiben muss, weil die Präsentation selbst ihn nur andeutet. Und was ist peinlicher, als wenn man sein eigenes Argument vergisst. Auf dem Podium.Vor hundert Leuten.

Wie war das noch im Mittelteil?