Donnerstag, 28. Februar 2013

Spaß mit Zombies

Selbst unter Geisteswissenschaftlern gehen die Meinungen stark auseinander, was würdige und ernstzunehmende Forschungsgegenstände sind. Literaturwissenschaftler sind sich einig, dass es okay ist, mit dem Lesen von Literatur Geld zu verdienen, aber damit hat sich die Einigkeit auch schon. Was genau diese 'Literatur' ist, daran scheiden sich nämlich die Geister. Oder vielmehr daran, welche die echte, die beste, die wichtigste ist.

Einer der unterhaltsamsten Zeitvertreibe auf wissenschaftlichen Tagungen ist, andere beim Kennenlernen zu beobachten und ihre notdürftig kaschierte Irritation oder Geringschätzung zu bemerken. Nun liegt es irgendwie in der Natur der Sache, dass sich Menschen, die man regelmäßig ans Pult von Vorlesungssälen stellt, für cleverer als andere halten. Die Dynamik, die das unter Kollegen mitunter gewinnt, ist aber wirklich unterhaltsam (solange man sich das von außen anschauen kann). Der Goethe-Spezialist hält sich prinzipiell für die Krone der Schöpfung, wird aber vom Shakespeare-Experten müde belächelt, während sich der Nachwuchswissenschaftler mit Interesse an Twitter-Haikus über beide Dinosaurier nur wundern kann. Die drei sind sich in der Regel erst dann einig, wenn jemand wie ich aufläuft und über Comics oder Computerspiele redet. Dann wissen sie plötzlich sehr genau, was Literatur ist, was Kunst, und was Wissenschaft.
Ein Teil von mir (ich weiß aber nicht, welcher) freut sich schon auf die Mischung aus Verwunderung, Unverständnis und Amüsement auf den Gesichtern arrivierter Kollegen, wenn ich erzähle, was ich hier so getrieben habe. Die wenigsten Kollegen jenseits der - greifen wir mal nicht zu niedrig - fünfzig werden schon keinerlei Verständnis haben, was ich als Philologe an einer IT-Universität treibe, was sich durch Erwähnung des Begriffs "Computerspielforschung" nicht maßgeblich ändern dürfte. Wahrscheinlich sollte ich denen gegenüber gar nicht erst erwähnen, dass wir in dem Seminar, dass ich mit meinem Kollegen unterrichte, auch einen inhaltlichen Schwerpunkt haben: Zombies.

Zombies sind in den letzten Jahren so allgegenwärtig gewesen wie Vampire. Auffällig ist aber, dass sich diese zwei Geschmacksrichtungen von Untoten immer weiter voneinander entfernen. Während Vampire jetzt brav ihr Abitur machen, niedlich im Sonnenlicht glitzern und keinen Sex vor der Ehe haben, werden Zombies immer unangenehmer, bedrohlicher, aggressiver. Es ist schon fast ein Gemeinplatz, dass die Twilightisierung des Vampirstoffs ein aussagekräftiger Beleg für einen neuen Konservativismus ist, der in Edward und Bella ihre blassen, gut frisierten Ikonen gefunden hat, die bestenfalls für Altachtundsechziger ihren Schrecken haben - nicht als Blutsauger, sondern als fleischgewordener Grabstein der sexuellen Befreiung. Wenn die Schwangerschaft mit einem technisch gesehen untoten Baby von der Trumpfkarte der anständigen amerikanischen Familie gestochen wird, ist der Zug für die selbstbestimmte Sexualität junger Frauen abgefahren, und zwar wieder zurück ins Dampflokmuseum des neunzehnten Jahrhunderts.

Während Vampire völlig vergessen zu haben scheinen, dass sie ursprünglich mal eine Mischung aus Schreckgespenst und Lustphantasie waren, wandeln sich Zombies zwar auch ständig, aber auf völlig andere Weise. Peter Dendle bringt es ganz schön auf den Punkt, wenn er sie als Barometer kultureller Angst bezeichnet. Der entseelte wandelnde Tote behält seinen Schrecken, weil er die Antithese dessen ist, was wir als menschlich identifizieren. Es gibt dafür im Englischen das Konzept des Uncanny Valley, das besagt, dass uns nichts mehr verstört als unvollkommene Menschenähnlichkeit. Dendle argumentiert, dass wir vor hundert Jahren, als Zombies zum ersten Mal in westlichen Kulturen in der Populärkultur auftauchten, in erster Linie von der Seelenlosigkeit dieser Kreaturen fasziniert und abgestoßen waren. Frühe Zombie-Figuren sind die Marionetten abgrundtief böser Voodoo-Magier - in der Filmhistorie natürlich niemand anders als Bela Lugosi -, aber spätestens in den 1970ern wandelt sich das Bild zu den hirnfressenden, blutüberströmten Menschenmassen, die wir heute mit dem Begriff assoziieren. Wenn Zombies heute eine metaphorische Dimension haben, dann ist es nicht mehr die Angst vor der Fremdbestimmtheit und Entseeltheit des gesichtslosen Industriearbeiters, sondern vielmehr das wachsende Unbehagen gegenüber der Ziellosigkeit und spirituellen Leere unseres Freizeit- und Konsumzeitalters. Max Nordau hat sich noch vorgestellt, dass der Mensch des Informationszeitalters ein - ich paraphrasiere ein wenig - Übermensch sein müsste, weil er täglich Mengen an Information verarbeitet, die fünf Generationen vorher noch ein ganzes Leben gereicht hätten. Unsere Faszination mit Zombies scheint in eine andere Richtung zu deuten, wenn man Dendle glaubt, der Zombies als Verkörperung des nicht zu sättigenden Hungers nach Information und Konsum in unserer Zeit versteht.

Aber wir leben ja schließlich auch noch immer im postmodern-ironischen Zeitalter - wie sonst wäre es zu erklären, dass sich Leute in großen Städten Europas regelmäßig den Spaß eines Zombie-Flashmobs machen? Mein Kollege Espen, unsere Studis und ich haben jedenfalls jede Menge Spaß mit Zombies. Und sie sind auch wirklich allgegenwärtig: zwei Kollegen haben sich gestern beim Mittagessen über das Zombie-Spielen ihrer drei und vier Jahre alten Kinder unterhalten. Auch aus der Geschichte der Computerspiele sind sie nicht wegzudenken; von Resident Evil hat ja vielleicht schonmal jemand gehört, auch noch bevor es eine erfolgreiche Filmreihe geworden ist.

Und weil wir hier Spiele ernst nehmen, sind sie tatsächlich auch Teil des Curriculums. Im Moment spielen wir mit unseren Studenten als Gruppe DayZ, eines der schwierigsten, unfairsten und insgesamt ungewöhnlichsten Spiele, die ich kenne. Die Parallelen zum Literaturstudium sind sehr viel größer, als man vielleicht denken würde. Zwar ist es nicht weiter schwierig, an das Spiel selbst heranzukommen (anders als bei manchem vergriffenen Roman), aber die Installation ist ein größerer Horror als alles, was in der Spielwelt passiert, und auch danach verbringt man ebensoviel Zeit damit, sich mit der Technik herumzuschlagen wie mit dem Wegrennen vor Zombies. Auch sonst ist das, was wir tun, weit von einem Spielekränzchen entfernt. Allein schon andere beim Spielen zu beobachten, ist hochgradig aufschlussreich, denn bei Computerspielen hat man diese Gelegenheit ja nur in Ausnahmefällen. Danach ausgiebig darüber zu diskutieren, zu schreiben und die Ergebnisse im Seminar zu präsentieren ist dann methodisch eigentlich genau so wie die Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand in allen anderen geisteswissenschaftlichen Fächern. 

Was ich mir in der Beziehung noch genauer ansehen werde, ist die Beziehung von The Walking Dead - dem ziemlich guten Adventure, nicht der grauenhaften Fernsehserie - zu seiner Comic-Vorlage. Es gibt da einige spannende Fragen, aber das ist wahrscheinlich eher etwas für einen anderen Blogpost ...

Montag, 25. Februar 2013

Allein ist man weniger zusammen

Spätestens seitdem ich herausgefunden habe, wie ich allen die Kommentarfunktion zugänglich mache, kriege ich richtig umfassen Rückmeldung auf meine Einträge hier. Neben den sehr willkommenen spontanen Lobes-, Freude- oder Genussbezeugungen und den regelmäßigen notwendigen Korrekturhinweisen (hüstel) kriege ich tatsächlich auch richtige Fragen gestellt. Gehäuft aufgetreten ist vor allem die Frage danach, wie so ein Auslandsaufenthalt denn beziehungstechnisch funktioniert.

Kurz gesagt: schmerzhaft.

Die ausführliche Antwort ist grenzt notwendigerweise ans Gefühlsduselige und kommt nicht ohne ein Spezialvokabular aus, das ich normalerweise in einer sorgsam verschlossenen und gut versteckten Kiste mit der Aufschrift "Selbsthilfeliteratur" aufbewahre. In anderen Worten: Weiterlesen auf eigene Gefahr.

Seinen Alltag kriegt man in unserem Alltag ja irgendwie organisiert, und da sind die notwendigen Abstriche ja vorhersehbar. Die wenigsten Alleinlebenden kochen sich jeden Tag was, und auch die Vorratshaltung ist schwieriger; man isst schlechter und viel auswärts (einzeln und in Kombination), verbringt mehr Zeit mit Aufräumen und Putzen, schläft weniger ruhig, arbeitet länger ... All das ist in erster Linie anders als sonst, nicht notwendigerweise schlechter, denn allein hat man natürlich auch mehr Freiheiten darin, wie man sich organisiert.

Anders als das Alleinsein an sich ist der Verzicht auf den Partner etwas, das sich nur schlecht schönreden lässt. Wenn man das seltene Glück hat, in einer erfüllten, gut funktionierenden Beziehung zu leben, hat es eben nichts positives, plötzlich ohne den anderen auskommen zu müssen. Da helfen nur drei Dinge: Miteinander reden, den Moment leben, eine erfüllte und gut funktionierende Beziehung haben. Der dritte Punkt ist nicht nur tautologisch, sondern deshalb auch nicht zu erklären; dennoch ist er zentral, denn wenn einer von uns auch nur einen Moment lang Zweifel an der Qualität unserer Beziehung gehabt hätte, wären wir nie das Risiko einer solchen Distanzbeziehung auf Zeit eingegangen. Da wir aber genau wissen, wo wir miteinander dran sind, war es kein Risiko. Die beiden anderen Punkte sind weniger selbstverständlich, aber eigentlich die Grundlage für den dritten. Auch daheim reden wir miteinander so viel und offen miteinander, wie es nur geht. Das schafft nicht nur emotional Nähe, sondern verhindert auch Missverständnisse und deren große, gemeine Geschwister, das Deuten und Zweifeln. Wenn ich genug mit jemandem rede und dabei immer ehrlich bin, entsteht keine Situation, in der einer von beiden sich nicht traut, etwas zu fragen und deshalb zu erraten versucht, was der andere denkt, will oder glaubt. Und wenn das nicht passiert, hat man auch keine Zweifel am anderen, schließlich kann man fragen und sich darauf verlassen, eine offene Antwort zu bekommen. Das räumt nicht alle Probleme aus, die man miteinander haben kann, aber doch die weitaus meisten. Und das "den Moment leben" ist etwas (und wahrscheinlich das einzige), das ich aus meinem Oberstufen-Religionsunterricht mitgenommen habe. Die Erkenntnis, dass alles vergänglich ist, hat immer eine gute und eine schlechte Seite - der Moment verweilt nie, wenn er auch noch so schön ist, aber eben auch nicht, wenn wir uns wünschen, er wäre sofort vorbei. Die gemeinsame Zeit, die wir haben, versuchen wir nach Kräften zu genießen, und nach mittlerweile bald fünfzehn gemeinsamen Jahren kann man auch von ein paar Monaten Trennung sagen, dass die Zeit schnell vorbei geht.

Natürlich hilft es enorm, dass wir so etwas vor über zehn Jahren schon einmal gemacht haben. Und als ich in Kanada war, ist es lange nicht so einfach gewesen wie heute, tatsächlich in Kontakt zu bleiben. Skype war damals noch in den Kinderschuhen, so dass wir jeden Tag telefoniert haben wegen der Zeitverschiebung oft von unterwegs oder der Arbeit aus. Noch heute zucke ich zusammen, wenn ich in amerikanischen Filmen öffentliche Telefone in Bahnhofshallen oder Ladenlokalen sehe, weil ich da gefühltermaßen die Hälfte meiner Zeit verbracht habe, nicht selten mit Schlangen grimmiger Einheimischer hinter mir. In Zeiten des Kriegs gegen den Terror wäre der stundenlang ausländisch am Münztelefon quatschende langhaarige Bombenleger garantiert auch irgendwann auf einem Polizeirevier gelandet. Ach, die gute alte Zeit ...

So können wir uns eben trotz allem an vielen Dingen freuen. Daran, dass uns die Technik es heute viel leichter macht als noch vor zehn Jahren, jeden Tag in Ruhe und gemütlich miteinander eine Stunde zu reden. Daran, dass wir uns gut genug kennen, um zu merken wenn der andere müde ist und ihn ins Bett zu lassen. Daran, dass wir heute gut genug verdienen um nicht mehr auf jeden Cent schauen zu müssen. Dann kann man eben auch, so wie letztes Wochenende, spontan sein, sich ins Flugzeug setzen und auf ein Wochenende zu seinem Schatz fliegen. Auch das hilft, selbst wenn man es nicht ständig tut. Die Möglichkeit, die Erreichbarkeit, das sind Faktoren, die einen schon ein Stück weit entspannen lassen. In solchen Momenten hat es dann auch sein gutes, dass die Welt immer kleiner wird.

Ums auf den Punkt zu bringen: Wir sind eben nicht allein, auch wenn wir nicht miteinander rumglucken. Das macht vieles leichter und das Leben insgesamt so viel lebenswerter - egal wo und unter welchen Umständen. So. Genug Nabelschau und Beziehungsratgeberei.Wer noch mehr braucht: Der neue Paulo Coelho soll so gut sein wie all seine anderen Bücher.

Was immer das heißen mag.

Samstag, 23. Februar 2013

Das Habitat des dänischen Schneespringers

Es ist acht Uhr am Samstagabend, und ich sitze in meinem Büro an der Uni.

Ich dachte, ich werfe das mal in den Raum, bevor hier noch der Eindruck entsteht, ich wäre im Schlaraffenland gelandet. Ja, die Arbeitsbedingungen sind gut, aber dafür arbeiten wir hier auch hart und lang - nur eben schöner, mir vollverglasten Konferenzräumen, guten Kaffeemaschinen und so weiter. Seit gestern versuche ich, drei unterschiedliche Theorien von Zeit im Computerspiel vergleichend aufzubereiten, die wir in der nächsten Sitzung diskutieren wollen. Jede der Theorien ist für sich genommen verständlich und sinnvoll, aber auch recht umfangreich, und da alle über die gleichen Gegenstände schreiben, liegen die Unterschiede in den Details versteckt. Und wer mich schon mal an der Uni hat vortragen hören, weiß dass ich so etwas nicht ohne Schaubilder und Animationen mache. Deswegen komme ich bestimmt auch morgen nochmal her, damit ich sicher sein kann, dass ich in der Sitzung am Dienstag alles im Griff habe.

Dass ich hier an der Uni sitze und nicht, wie ich das in Deutschland tun würde, meine Seminare von zu Hause aus vorbereite, hat natürlich auch andere Gründe. Es ist hier geselliger - irgendwer arbeitet hier eigentlich immer, meistens unser maltesischer Doktorand Daniel -, und die Arbeitsbedingungen sind besser, vor allem Bürostuhl und Schreibtisch. Und so sehr ich es mir auch in meinem Zimmerchen gemütlich gemacht habe, ist es eben doch kein Zuhause, sondern nur eine Wohnung.


Mein Zimmer - oder wie meine Frau das wegen des sonderbaren Grundrisses so schön sagt: meine Bienenwabe - ist hell, freundlich und weder zu klein noch zu groß. Der Ausblick ist nicht doll, aber auch nicht scheußlich, und im Sommer ist der Innenhof sicher auch noch freundlicher anzuschauen als jetzt. Und da die Wohnung an einer (für hiesige Verhältnisse) stark befahrenen Straße liegt, bin ich ganz froh drum, dass mein Zimmer nach hinten raus liegt. Aber auch in der Hinsicht kommt mir Kopenhagen wie das Tal der Seligen vor, wenn ich an meine Zeit in der Herner Straße in Bochum zurückdenke. Dass einen Verkehrslärm noch im zweiten Stock aufwecken kann, hätte ich mir vorher nie (alb)träumen lassen.

Die Wohnung liegt im Westend - Vesterbro -, wo früher vor allem Schwerindustrie und Fleischfabriken angesiedelt waren (guckst du hier und hier). Heute ist davon, soweit ich sehen kann, nur noch die Carlsberg-Brauerei übrig geblieben. In den letzten zwanzig Jahren hat die Stadt dort einiges an Geld reingesteckt, und heute hat der Stadtteil so einen halbschmuddeligen Kiez-Charme. Mein Mitbewohner vergleicht es gern mit Berlin, und ich denke, er hat da nicht unrecht. Im Sommer ist es hier, genau wie im Rest der Stadt, sicher auch noch wesentlich freundlicher als jetzt. Es ist aber unverkennbar, dass die Häuser Industrie-Mietskasernen waren. Die Bauweise ist ganz solide, wenn auch altmodisch - wir haben eine Hintertreppe! -, aber die Wohnungen sind ziemlich klein und verwinkelt. Nicht einer der Räume ist vollständig quadratisch, aber das macht es irgendwie auch urig. Die Küche ist gerade groß genug, damit sich zwei Erwachsene nicht auf die Füße treten müssen, was man vom Flur nicht sagen kann. Ohne Schmusen ist da nicht aneinander vorbeizukommen, was zu einer Menge Rangierverkehr führt.

Wirklich winzig ist unser Bad. Aber auch das hat seine Vorteile. Immerhin weiß ich jetzt, was sich hinter dem Wort "Nasszelle" verbirgt. Wer auf dem Suchbild genau hinschaut, wird die kuschelige Nähe von Toilette und Waschbecken ebenso mühelos bemerken wie die nahtlose Integration von Duschbereich und Rest-Badezimmer. Das hat einen unschätzbaren didaktischen Wert, denn dieses Arrangement macht es ganz unvermeidlich, nach jedem Duschen - und andere Formen der Körperhygiene sind in der Enge und an dem winzigen Waschbecken ironischerweise auch nicht drin -  mit Abzieher und Putzlappen alles trockenzulegen. Es sei denn, man zieht es vor, beim nächsten Pipimachen knöcheltief in abgestandenen Duschwasser zu stehen. Das hätte zwar sicherlich harnfördernde und kneippsche Qualitäten, wäre aber noch weniger mit dem Massengeschmack vereinbar als die Alternative. Wer also seine Mitbewohner partout nicht dazu erziehen kann, hinter sich kurz in der Duschkabine aufzuwischen, dem sei die Verlegung der Toilettenschüssel in die Dusche empfohlen. Das wirkt, ich kann es nicht genug betonen, wahre Wunder.

Immernoch neidisch?

Donnerstag, 21. Februar 2013

Schön habt ihr's hier

Nach gut zwei Wochen habe ich meine neuen Lebensumstände halbwegs im Griff. Ich habe mich halbwegs mit der Dänischen Krone angefreundet (dem Geld, nicht der Herrschaftsinsignie), habe herausgefunden, wie ich hier im Blog die deutsche Rechtschreibkorrektur aktiviere, und weiß, wo ich das billigste Bier vom Fass kriegen kann. Auf mein Bankkonto warte ich zwar noch, weil die 'freundliche' Kundenberaterin, bei der ich den Antrag gestellt habe, meine Passkopie entweder verschlampt oder gar nicht erst gemacht hat, aber sonst funktioniert weiterhin alles unerwartet reibungslos.

Gestern habe ich sogar zum ersten Mal hier Wäsche gemacht, in unserem gemeinschaftlichen Wäschekeller. Ganz so gemütlich wie im Fernsehen ist das zwar nicht, aber die Maschinen funktionieren, und es scheint auch alles heil und sauber zu sein. Wenn ich nächste Woche mein Evaluationsgespräch mit der Chefin unserer Sektion hinter mich gebracht habe, sind wohl erst einmal alle Hürden überwunden. Bis dahin habe ich aber auch den Großteil meines Lehrpensums für dieses Semester erfüllt - wir haben die Sitzungen unter mehreren Dozenten aufgeteilt, und nach nächstem Dienstag bin ich nur noch einmal am Semesterende so richtig gefordert -, so dass ich dann also nach vier Wochen in Kopenhagen keine Ausrede mehr haben werde, so richtig in die Forschungsarbeit einzusteigen.

Natürlich gilt aber auch in Kopenhagen: Wenn es zu gut ist, um wahr sein zu können, ist es das für gewöhnlich auch nicht. Bestes Beispiel: Als ich vor vier Wochen zum ersten Mal hier war, um mir die Räumlichkeiten der Universität anzuschauen, bin ich mir wie im Schlaraffenland vorgekommen. Im Moment hat unsere Spielforschungs-Gruppe zwei ganze Stockwerke in einem der Gebäudeflügel für sich - neun Büros, einen Konferenzraum, einen Drucker- und Postraum und eine Toilette pro Etage! In Bochum teilen wir uns ja nicht nur das Büro, sondern sogar die Schreibtische und Computer mit drei und mehr Kollegen, während ich hier ein viel zu großes Büro für mich allein habe - bis Ende des Monats, jedenfalls.


Dann ziehen wir nämlich in ein anderes Stockwerk, wo wir dann auch immer zu zweit in einem Büro sein werden und zudem noch zwei andere Forschergruppen plus die Universitätsleitung auf dem gleichen Flur haben. Dann ist wohl Schluss mit Tischtennisturnieren am Konferenztisch und bizarren Barbie-Installationen - vorerst jedenfalls. Die wenigen Kollegen aus der Führungsetage, die ich bis jetzt kennengelernt habe, scheinen genauso große Kindsköpfe zu sein wie der Rest von uns, so dass ich kaum glaube, dass sie uns zu sehr in die Quere kommen werden. Die Chefin der gesamten Spiel-Abteilung, die damit gut einem Drittel der Uni vorsteht, hat mich bei meinem Dienstantritt zumindest folgendermaßen begrüßt: "Ich bin selbst erst seit ein paar Wochen hier und kenne eigentlich noch kein Schwein. Wenn Du irgendwas wissen willst, frag halt Deine direkten Kollegen, die kennen sich viel besser aus als ich. Wir können aber gern mal ein Bier trinken gehen." Sie ist Finnin, vielleicht erklärt das so manches, aber ich hoffe trotzdem, dass sie und die restlichen hohen Tiere tatsächlich so entspannt sind, wie sie sich geben. Und überhaupt werden sie vom Umzug viel härter getroffen als wir. Bislang war das "Senior Management" in angemieteten Räumen im Nachbargebäude untergebracht, gegen die unser Bau beinahe schon schäbig aussieht. Es ist wahrscheinlich wie immer: die haben mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.


Bevor ein Missverständnis aufkommt: bei all den Annehmlichkeiten hier beschwere ich mich auch wirklich nicht, in Zukunft einen Bürogenossen zu haben. Man stelle sich vor: Die offizielle Beschäftigungspolitik der ITU ist, dass zufriedene Arbeitnehmer produktiv, ausgeglichen und gesund sind, und dass das gut ist für die Universität, ihre Studierenden und ihr Image. Während wir uns in Deutschland bei so einer Formulierung wahrscheinlich vorstellen, dass einem einfach nur keine Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, wenn man versucht, seine Arbeit zu machen, meint man das hier ernst.

An meinem ersten Arbeitstag hatte ich innerhalb von zwei Stunden meinen Dienstausweis, ein Telefon, einen Schreibtisch - neu und elektrisch höhenverstellbar - und einen Schreibtischstuhl, der weder zwanzig Jahre alt ist noch von einem Lieferanten stammt, der dem öffentlichen Dienst den letzten Schrott zum Preis seines Gewichts in Gold verkauft. Und nur, weil ich es am ersten Tag nicht geschafft habe, ihn abzuholen, musste ich bis zum zweiten Arbeitstag auf meinen Computer warten.

Fast unheimlich wird es einem dann aber, wenn man erst einmal mit der Arbeit angefangen hat. Ich war ja schon begeistert, dass hier täglich der Müll geleert wird - in Bochum passiert das zweimal, in Saarbrücken einmal die Woche (wenn man Glück hat). Die Kaffeeküche hat mich dann schon etwas nervös gemacht. Kühlschrank, Spülmaschine, Mikrowelle - damit kann ich ja noch umgehen (wenn auch etwas verunsichert) -, aber ein Jura-Kaffeeautomat? Im ernst? (Auch davon haben wir auf jeder Etage einen. Mal sehen, wie wir die in Zukunft verteilen. Ich habe da eine Vision ...). Die Kaffeebohnen gibt die Uni übrigens auch aus, genau wie Milch in winzigen Päckchen, und damit wir auch mal was anständiges essen, stellt man uns jeden Montag einen frischen, großen Obstkorb auf den Konferenztisch.

Die erste Woche lang war das so unwirklich, dass ich mir bei jeder Tasse Kaffee vorgekommen bin wie ein Dieb. In der zweiten Woche habe ich mir dann vorgestellt, dass sich das Rätsel auf der nächsten Betriebsfeier lösen wird, wenn sich der Unipräsident als blutschlürfender Antichrist oder kleinkinderfressender Außerirdischer entpuppt. Mittlerweile habe ich aber erkannt, dass es keine Verschwörung geben kann, denn ganz so perfekt ist es hier dann doch nicht. Der Bildschirm an meinem Laptop flackert manchmal total unangenehm, und an manchen Tagen brummt der Trafo vom Bewegungsmelder vor der Klotür echt laut. Kaum auszuhalten, wenn ich ehrlich bin.

Ich kann so nicht arbeiten ;-)

Donnerstag, 14. Februar 2013

Hab mir meine Streifen verdient!

Um mal mit Inbrunst ein paar Metaphern zu verschränken: Dass es manchmal anders kommt, ist eine Binsenweisheit, aus der man sich so manches Körbchen flechten kann, das Wasser trägt. Will meinen: Kaum jammere ich ein bisschen vor mich hin, dass um mich herum alle verbriefte Genies (mit gestempelten Genie-Diplomen) sind, haben besagte Genies den Anstand, sich die ein oder andere Blöße zu geben.
 
Gestern beim Mittagessen haben sich die Koryphäen darüber ausgetauscht, dass es echt zu viel verlangt ist, für einen anstehende Kongress mehr als ein halbes Dutzend Themenvorschläge zu sichten und bewerten. Ich hab derweil still mein Sandwich gemümmelt und an die hundertfünfzig Stück gedacht, die ich letzten Sommer begutachtet habe.

Und heute habe ich einem Raum voller Informatikstudenten gezeigt, wie sie unser - ich entschuldige mich für die terminologische Katastrophe - Beispiel-Spiel zum Laufen bekommen. Ich müsste lügen wenn ich behaupten wollte, es ginge nicht runter wie Öl, den fleischgewordenen technischen Support für einen Haufen hochintelligenter junger Leute zu machen, die selbst Spiele entwickeln und programmieren. Das ging natürlich nur deshalb, weil ich mich, im Gegensatz zu allen anderen, vorbereitet und gut informiert hatte.

Die Erfahrung lehrt: gute Vorbereitung und harte Arbeit sind in der Regel doch sehr viel nützlicher als eine Bürowand voller Diplome. Die ursaarländische Tugend des Arschbackenzusammenkneifens macht sich eben auch im Ausland bezahlt. Meine schwarze Seele - Bergbautradition, nicht Boshaftigkeit - freut sich an dem kleinen Triumph, den ich mit stolzgeschwellter Brust stellvertretend für alle Arbeiterklassenkinder errrungen habe. Oder vielleicht für alle diejenigen, die Bedienungsanleitungen lesen - für irgendwen auf jeden Fall.

Es sieht also aus, als hätte ich mir heute in so mancher Hinsicht meine Streifen verdient. Dass es liebe Menschen in Deutschland gibt, die daran auch vorher keinen Zweifel hatten, ehrt und freut mich natürlich sehr. Die Beweisphotos von meiner großen Schwester Claudia und meinem Lieblingsautonarren Robin:


Damit wäre wohl unzweifelhaft empirisch bewiesen: Rallyestreifen machen schneller!

Wenn die Minderwertigkeitskomplexe sich wieder in ihre ranzige Ecke zwischen Galle und Nieren verzogen haben, lässt sich auch viel mehr anerkennen, was für ein ungemein spannendes Arbeitsumfeld ich hier habe. In Saarbrücken und Bochum bin ich ja ein internationales Umfeld immer schon gewohnt - in den letzten Jahren habe ich gleichzeitig mit Leuten von der Ruhr, dem Ober- UND dem Niederrhein das Büro geteilt -, aber unser Institut hier ist schon eine andere Größenordnung in dieser Hinsicht. Meine Kollegen kommen aus Norwegen, Schweden, Griechenland, Spanien, Italien, Malta, Australien, Korea, den USA und dem Iran. Und ein paar Dänen und zwei weitere Deutsche haben wir auch noch. Bei den Studenten sind die Dänen zwar in der Mehrzahl, aber auch da haben wir Leute aus dem Rest von Skandinavien, Italien und Bulgarien. Da lernt man eigentlich zwangsläufig ständig irgendwas - wenn auch nicht immer fachlich. So anstrengend das ständige Radebrechen ist (denn wirklich mühelos ist das Englisch für die wenigsten), könnte ich mir doch vorstellen, dass mir diese Erfahrung fehlen könnte, wenn ich wieder nach Hause komme. Der Austausch mit Kollegen aus anderen Kulturen ist wahrscheinlich das spannendste am Wissenschaftlerleben, und wo man sonst auf internationale Konferenzen fahren muss, um das mal ein paar Tage zu haben, ist es hier Alltag. Es hat irgendwo noch immer eine andere Qualität, weil es eben Alltag ist. Man diskutiert nicht fünf Tage in der Woche acht Stunden lang intensiv und geht danach Cocktails saufen  in geselliger Runde den wissenschaftlichen Austausch weiterführen. Jedenfalls nicht im Winter. Mal sehen, was der Sommer bringt.

Und nach fast zwei Wochen harter Arbeit habe ich dann heute ab vier tatsächlich das bekommen, warum ich insgeheim hergekommen bin: In einem Raum mit anderen Spinnern sitzen, im Netzwerk miteinander zocken, und dafür auch noch bezahlt werden.

Manchmal liebe ich meine Job!

Dienstag, 12. Februar 2013

Unsere Zuschauerin Doris aus Ennepetal fragt: "Wat machst du da eigentlich?"

Was genau ich hier in Kopenhagen treibe ist eine gute Frage. Ich stelle sie mir aber nicht täglich.

Eher stündlich.

Zunächst einmal bin ich hierher gekommen, weil man mir ein Angebot gemacht hat, dass ich nicht ablehnen konnte. Vor ein paar Jahren habe ich auf einer Konferenz Espen Aarseth kennengelernt, der mit seinem Buch Cybertext und der Zeitschrift Game Studies die ernsthafte geisteswissenschaftliche Computerspielforschung begründet hat. Ich erinnere mich noch lebhaft, wie ich gleich am ersten Konferenztag auf der Rückbank eines Peugeot 107 mit dem Einsneunzig-Norweger über seine Theorien gestritten habe. Irgendwas habe ich dabei wohl richtig gemacht, denn letztes Jahr hat er mich dann zuerst ins Kommittee einer neuen Konferenzreihe geholt und danach mit mir einen Antrag auf ein EU-Projekt gestellt. Der Antrag ist zwar nicht durchgekommen, aber trotzdem (oder gerade deswegen) hat er mich dann an seine Universität eingeladen, die IT University of Copenhagen. Das Angebot konnte ich nicht ablehnen, auch wenn ich wirklich nicht weiß, ob ich der richtige Mann für den Job bin.

Die ITU ist, wie der Name schon andeutet, eine technische Universität für Informatik aller Art, mit einem großen Anteil an Spieldesign und -forschung. Ich bin Teil der Spielforscher-Gruppe, die - genau wie die ganze Uni - bunt zusammengesetzt ist aus Vertretern aller Fächer, von Literaturwissenschaftlern über Philosophen und Psychologen hin zu Informatikern. Und dann sind da noch die unvermeidlichen Überflieger, die das alles in einer Person sind.

Als kleiner Komparatist mit autodidaktischem Wissen über eine handvoll anderer Medien fühlt man sich da ein bisschen wie ein Fiat 500 auf einer Sportwagenmesse. Die anderen fahren vielleicht auch nur mit Benzin, aber ich habe den Verdacht, dass ihres mehr Oktan (und Geheimzutat X) hat. Und auch wenn ich ordentlich getunt bin, haben die anderen die besseren Chassis. Mentale Notiz: Muss Rallyestreifen besorgen!
 

Womit ich hier meine Zeit verbringe ist natürlich eine ganz andere Sache. Zunächst einmal unterrichte ich mit Espen einen Kurs. Das ist, vor allem für meine daheimgebliebenen Mit-Didaktiker, sicher Thema für einen eigenen Post. Hauptsächlich bin ich aber zum Forschen hier, wobei wir noch nicht genau geklärt haben, was ich eigentlich tun soll bzw. ob es überhaupt ein Sollen gibt. Was schon feststeht ist, dass ich wieder einen EU-Antrag aufsetze, allein schon, um vielleicht eine mittelfristige Partnerschaft zwischen unseren Unis aufzubauen. Und natürlich habe ich die üblichen kleineren Projekte, Vorträge und Aufsätze, zu denen man eingeladen wird oder sich anmeldet. Im Schnitt habe ich alle drei Wochen einen Abgabe- oder Vortragstermin. Langweilig wird mir also auf keinen Fall. Aber wenn mich jemand fragt, was ich in den acht Monaten hier geleistet habe, will ich eine definitive, knackige Antwort haben. Aber vielleicht muss das auch noch nicht nach einer Woche sein.
  
Vielleicht reicht es im Moment ja auch, wenn ich mich morgens auf dem Weg zur Arbeit daran freue, in einer interessanten, freundlichen, schönen Stadt zu wohnen und die Zeit und Gelegenheit zu haben, alles aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Der Rest kommt dann schon.

Sonntag, 10. Februar 2013

Deutschland oder Dänemark - Hauptsache IKEA

Es wäre vielleicht ein bisschen übertrieben zu behaupten, die Dänen würden die Schweden nicht mögen. Aber wirklich nur ein bisschen. Das einzige Blau-und-Gelb das hier genausogut ankommt wie überall sonst ist IKEA. Copenhagen ist ja keine wirklich riesige Stadt - eine halbe Million Einwohner in der Stadt selbst und nochmal etwas mehr im direkten Umland -, aber es gibt gleich zwei von den großen schwedischen Möbelhäusern im Vollformat.

Eigentlich wäre ich ja mit meinem Mitbewohner Lars - von dem ein andermal mehr - bequem in einem Kombi, den er sich vom Carsharing besorgt hätte, raus in die Vorstadt gefahren, wenn ich die Idee nicht bei meinem Chef Espen erwähnt hätte. Espens Tochter braucht nämlich neue Kleiderschränke - logisch, sie ist 16 -, seine Frau braucht mehr Stauraum in der Waschküche und eine schicke Kücheninsel, und Espen mag die günstigen Hotdogs aus der Schwedenshop-Cafeteria.

Also habe ich für meine blaue IKEA-Tüte voll Kleinkram, einen Stuhl und einen Nachttisch einen Fiat Ducato gemietet, damit wir genug Platz hatten für die Möbel der anderen. Das ist gar nicht böse gemeint: Wir hatten einen richtig netten Tag miteinander, ich hatte Familienanschluss und ein gutes Abendessen, und natürlich haben wie die Kosten geteilt. Ich hätte nur nicht unbedingt für meine erste Autofahrt im fahrradverseuchten Kopenhagen einen Dreieinhalbtonner haben müssen, schon gar nicht, weil es fünfzehn Jahre her ist, seit ich zuletzt so ein Ding gefahren bin und das Fahrzeug mindestens genauso alt war. Direkt um die Ecke von meiner Wohnung hier gibt es nämlich eine kleine Autovermietung, deren Preise etwa bei der Hälfte dessen liegen, was die großen Firmen wollen. Dafür gibt es dann, in unserem Fall, einen zurückgebauten Krankenwagen mit mehr Beulen und Schrammen als ein Schwergewichtsboxer nach zwölf Runden. Ich hab zwar Blut und Wasser geschwitzt, aber letztlich hat alles gut geklappt, auch wenn ich hier fürs Protokoll festhalten möchte, dass ein Hersteller, der schon in Kleinwagen keine sauber funktionierenden Schaltgetriebe zustande bringt, eigentlich keine Nutzfahrzeuge bauen sollte. Kuppeln und Schalten in dem Ding ist, als wollte man einen Elefanten ausbeinen.

Der IKEA-Markt in Gentöfte ist übrigens eine besonders schöne Konstruktion auf mehreren Ebenen, und die meisten Parkplätze sind ebenerdig unter dem Ausstellungsraum. Für uns hieß das, dass wir den Transporter auf dem kleinen Vorhof-Parkplatz unterbringen mussten, weil er mit seinem Dachaufbau nicht durch die Hofeinfahrten gepasst hätte. Und auch wenn die Dänen einiges besser machen als wir: ihre Parkplätze sind genauso idiotisch eng geschnitten wie die deutschen. Das Einparkmanöver war dann auch etwas langwieriger - und ein Vertrauensbeweis meines Chefs, der sich zum Reinwinken todesmutig zwischen die Stoßstangen gestellt hat. Zum Schluss hatten wir aber einen Erfolg wie aus dem Bilder- oder vielmehr Malbuch: wir sind genau in den Linien geblieben.

Und weil wir knallharte Wissenschaftler und echte Kerle sind, haben Espen und ich dann noch in der Nacht Themenvorschläge für die DiGRA aus dem Kreuz geleiert, die größte Computerspielfachtagung überhaupt - ich, weil ich erst mittwochs von der noch laufenden Frist erfahren habe, Espen, weil er zu kaltschnäuzig ist für diese Welt. (Mein Lieblingszitat: "Zwei Stunden vor Abflug am Flughafen sein? Die haben Sie ja nicht mehr alle. Ich rufe mir eine Stunde vorher ein Taxi!") Als ich um halb eins mit meinen Texten fertig war, wollte er noch ein gemeinsames Thema aus dem Stein schlagen. Ich bin wahrscheinlich ein Weichei, aber ich aber artig fürs Angebot gedankt und bin ins Bett gefallen.

Am Samstag habe ich mir dann einen Schraubenzieher besorgt und Kullen, Kalvö und Selje zusammengeschraubt. Wenn ich jetzt noch einmal alle Möbel umgestellt habe, sollte ich es akzeptabel gemütlich haben. Wenn man auf die Vierzig zugeht, ist ein Leben ohne Nachttisch und Wäschekommode nicht mehr wirklich diskutabel.


Und die Möbel sind in jedem Fall eine Investition in die Zukunft. Kalvö ist nämlich ein Regiestuhl. Wenn ich dann also mal irgendwann zum Arbeitsamt muss, kann ich mir den Spaß erlauben und den Löwenbändiger geben. Oder den Filmregisseur, in dem Fall.

 
Mal sehen, wie schnell ich dann vermittelt werde.


Samstag, 9. Februar 2013

Citizen Service


Am Mittwoch war ich auf dem Einwohnermeldeamt. Für die Einheimischen hat diese Aussage mit Sicherheit den gleichen kafkaesken Unterton wie für jeden Deutschen. Warteschlangen, undurchsichtige Anmeldemodalitäten, Plakate und Wegweiser, die von einem zertifizierten Desinformationsspezialisten mit viel Liebe und Zeit gestaltet zu sein scheinen - das können die Dänen auch. An der Tür des Westend-Bürgerzentrums hat mich erst einmal ein farbenfrohes, freundliches und doch bestimmtes Baustellenposter begrüßt, und ich war schon drauf und dran, wieder umzudrehen und mein Glück sonstwo zu versuchen.

Zehn Minuten später war ich eines Besseren belehrt. Die Kopenhagener haben ziemlich säuerlich aus der Wäsche geguckt wegen des nur halb geöffneten Amts, aber für die Ausländer war alles geregelt. Während ich im Wartezimmer noch darüber nachgedacht habe, warum auf der sonst so informativen (und scheinbar ehrlichen) Website der Stadt nichts von den Bauarbeiten am "International Citizen Service" zu lesen war, bin ich auch schon drangekommen und habe dann begriffen, dass es nichts zu melden gab. Das Notfallprogramm hier hat besser funktioniert als das Alltagsgeschäft in den meisten Behörden anderswo.

Natürlich hat es schon seine Zeit gedauert, bis ich mit allem durch war, aber neunzig Minuten für Meldung bei Staat, Kommune und Steuer finde ich jetzt nicht übertrieben, und das bisschen Papierkram, dass da angefallen ist, würde in Deutschland wahrscheinlich nicht für die Hundesteuer gereicht haben.

Um der Dänemark-Euphorie so wenig Chancen wie möglich zu geben, habe ich danach dann versucht, ein Konto zu eröffnen. Bei der Danske Bank war ich zuerst eine Viertelstunde in einem unglaublich geschäftigen Schalterzentrum, wo im 30-Sekunden-Takt die Kunden verarztet wurden. Als ich drangekommen bin, hat man mich aber zum Servicecenter um die Ecke geschickt, weil nur da neue Verträge gemacht werden. Dort war ich dann zwar der einzige Kunde, musste aber trotzdem länger warten als in der anderen Filiale, weil keine der drei Kundenberaterinnen Lust auf Kunden oder Beratung hatte. Weitere zehn Minuten später - meine Beraterin musste ihrer Kollegin vorführen, wie ihr Nagellack wirkt, wenn sie einen deutschen Personalausweis hält - wurde ich dann mit einem höflichen "wir melden uns per Post bei Ihnen" und schon weniger freundlichen "ja, kann dauern" verabschiedet.

Falls also mal wieder ein betriebswirtschaftlich verbildeter Zeitgenosse über die unvermeidlich größerer Effizienz von kommerziellen gegenüber öffentlichen Prozessen schwadroniert, könnt Ihr ihn nach Dänemark zum Amt und zur Bank schicken. So ein funktionierender Sozialstaat hat schon was für sich ...

Mittwoch, 6. Februar 2013

Angekommen



Jetzt habe ich also ein Blog. Klasse. Und weiter? 
 
Wie immer, wenn ich nicht so recht weiß, was ich eigentlich sagen soll, muss ich ein bisschen ausholen. (Meine Studenten können das bestätigen, fürchte ich). 

Also: Angeblich dauert ja alles länger, wenn man älter wird. 

Das Ankommen hier könnte ein gutes Beispiel sein. Damit meine ich nicht, dass mein Flug Verspätung gehabt hätte (hatte er natürlich) oder dass meine Einschätzung was die Reisezeit angeht etwas optimistisch gewesen wäre (war sie natürlich). Spät nachts am Sonntag mit einem Trolley durch Kopenhagen zu rumpeln, in dem sich ein ausgewachsener Neufundländer hätte verstecken können (was er zum Glück nicht getan hat), war nicht meine beste Erfahrung in den letzten Wochen, und die erste Nacht in einer neuen, fremden Wohnung ist immer unangenehm. Das ist aber alles halb so wild gewesen.

Das eigentlich anstrengende ist aber gewesen, mit viel zu vielen Unbekannten zu hantieren. Wie ist die andere Uni, wie sind die Kollegen drauf, halte ich meinen Mitbewohner im Kopf aus, wie läuft das mit der Bürokratie hier, wie wird das mit dem Unterrichten in einem anderen System, in einer anderen Sprache, in einem anderen Fach ...

Auf eine dieser Fragen habe ich noch keine Antwort – das 'International Welcome Center', auf dem ich meine Bürokratie erledigen muss, hat nur mittwochs und donnerstags geöffnet –, und auch die restlichen Antworten sind natürlich nur vorläufig, aber es sagt wahrscheinlich mehr über mich aus als mir lieb ist, dass der entscheidende Punkt für meine eigene Beruhigung der Kurs war. Es ist also wohl doch nicht gelogen, wenn ich auf Formularen angebe, ich wäre Dozent.

Es erstaunt mich immer wieder – und das ist bis jetzt sicher auch mein nachhaltigster Eindruck von dieser Erfahrung –, wie sehr wir etwas wissen können, ohne davon überzeugt zu sein. Ich habe nicht erwartet, im Seminarraum unvorbereitet und stammelnd den Deppen zu markieren. Wenn dem so wäre, hätte ich diese Einladung nicht angenommen. Obwohl ich also wusste, dass ich auch auf Englisch einen Kurs leiten kann, war ich unruhig, bis ich die erste Sitzung hinter mir hatte. Ich gestehe es mir nicht gerne ein – und zum Glück liest das hier ja auch keiner außer mir selbst ;-) –, aber es ist wahrscheinlich eine Frage von Stolz und Eitelkeit. Wenn ich mir in den letzten Wochen etwas Sorgen gemacht habe, wie es hier in Kopenhagen laufen wird, dann hauptsächlich, weil ich meine Sache gut machen will. Es wäre eine ungeheure Verschwendung von Ressourcen, wenn ich für die Kollegen und Studenten hier der Clown aus Deutschland wäre, der ihnen die Zeit stiehlt.

Die erste Sitzung ist also gut gelaufen. Das lag nicht zuletzt daran, dass mein Kollege Espen, mit dem ich zusammen unterrichte, weniger einen Vortrag gehalten als eine Reihe provokanter Thesen vorgestellt hat, über die er und die Studenten weit über die Hälfte der Zeit diskutieren mussten. Es war ihm ein bisschen unangenehm, dass ich deshalb weniger Zeit zur Verfügung hatte, aber für mich hätte die erste Sitzung nicht besser laufen können. Ich meine nicht, dass ich froh war, nicht so lange reden zu müssen – ganz im Gegenteil –, aber jetzt weiß ich, was für einen Seminarstil mein Kollege vertritt. Wenn er jede Woche tatsächlich zwei volle Stunden Vorlesung halten würde, müsste ich das auch tun, egal wie wenig sinnvoll ich das finde. Wenn er viel Zeit auf Diskussionen verwendet und nicht unbedingt eindeutige Wissensvermittlung am Ende stehen muss, heißt das für mich, dass ich im Prinzip genau das weitermachen kann, woran ich mich in Bochum gewöhnt habe. Und das ist natürlich gut. Jetzt sind es also nur noch das Fachliche, die andere Sprache, die intensive Seminarform und die neuen Studis, an die ich mich gewöhnen muss. 

Und das kriege ich hin.

Da Ankommen also ein längerer Prozess zu sein scheint, ist es vielleicht auch okay, wenn ich darüber mehr als einmal schreibe. Eben ist beispielsweise der Inhalt meiner Dropbox auf meinem neuen Computer hier angekommen. „5219 Dateien wurden erfolgreich aktualisiert.“ Das klingt doch schon nach einem bemerkenswerten Erfolg. Aber ich bin hier auch mit Sicherheit noch nicht überall angekommen. Morgen gibt's dänisches Einwohnermeldeamt, und am Freitag geht's zu IKEA. Mit einem gemieteten Transporter. Und dem Kollegen, seiner Frau und seiner Tochter. Und den Möbeln, die ich für meinen Mitbewohner umtauschen soll, weil er beim letzten Mal zu viel gekauft hat. Vielleicht sollte ich nochmal drüber nachdenken, ob ich wirklich schon ruhig schlafen kann.

Mal sehen, wie lange es dauert, bis ich mich tatsächlich so fühle, als wäre ich hier angekommen.

Dienstag, 5. Februar 2013

Jetzt bloggt er auch noch!

So – Backe bloggt.

Wer jetzt meint, er habe das kommen sehen, kennt mich nicht wirklich (oder so gut, dass es mir unheimlich ist).

Aber wofür haben wir denn die schöne Einrichtung der Bigotterie? Auch wenn ich bloggen bislang meist als Ausdruck akuter Profilneurose oder eines geradezu pathologischen Mitteilungsdrangs aufgefasst habe, scheint mir das plötzlich ganz sinnvoll. Auf jeden Fall kann ich so mit all den Leuten zuhause kommunizieren, die wissen wollen, was mir hier so passiert (oder zumindest ausgesprochen überzeugend Interesse geheuchelt haben). Bei mir ist das aber auch wirklich was gaaanz anderes.

Ich weiß nicht, ob man mir das angemerkt hat, aber ich habe mich selten in meinem Leben so wertgeschätzt gefühlt wie während der vielen kleinen Abschiede in den letzten zwei Wochen. Nachdem mir Familie, Freunde, Kollegen und Studis das Versprechen abgenommen haben, in Kontakt zu bleiben, will ich niemanden enttäuschen. Aber seit einer traumatischen Erfahrung, für die fünf Geschwister und nur vier Urlaubspostkarten zentral waren, bin ich mit den Gefahren der Massenkommunikation nur zu gut vertraut.

Da ich auf Facebook nach wie vor wenig Lust habe – das geht nur ganz oder gar nicht, denke ich –, muss ich jetzt eben hiermit rumspielen, wenn ich nicht E-Mails kopieren und Adressbücher koordinieren will. (Und nein: Postkarten sind keine Alternative). Mit dem Blog kann ich vielleicht meinen Senf an Euch alle gleichzeitig loswerden. Wie einer von diesen leckeren Heinz-Eutern, die Würstchenstände rund um den Globus vervollkommnen. Das wäre doch praktisch.

Und lecker.