Samstag, 16. März 2013

Zwischen Kopenhagen und Gotham, Teil 3

Hajos Superhelden-Top Ten (fünfter bis erster Platz)

 

Platz 5


Frank Miller: The Dark Knight Returns (DC, 1986)

Wie habe ich ihn damals gehasst. Das Cover hat mich magisch angezogen – der Band war ja auch in Deutschland omnipräsentes Aushängeschild der großangelegten Kampagne "Comics heißen jetzt Graphic Novels und stehen in ordentlichen Buchhandlungen." Die ersten fünf oder zehn Mal habe ich das Buch aufgeschlagen, schnell wieder zugeklappt und dann eine Woche Alpträume gehabt. Was Frank Miller hier mit Batman anstellt, ist schlimmer als jede körperliche oder geistige Folter die sich andere Autoren je ausgedacht haben: Er entblößt ihn bis in die letzte Faser und legt damit, wie Dietmar Dath es mal so schön gesagt hat, auf frei, was wir eigentlich sein wollen. Batman als dreckiger alter Mann in Panels, die wie mit Textmarkern kolorierte Umrisse aus hingeworfenen Mikadostäbchen wirken – das war lange Zeit zu viel für mich. Aber auch wenn DC immer wieder versucht, eine gute alte (und damit hoffnungslos vergangenheitsblinde) Zeit aus der Mottenkiste zu holen, indem Superman in Jeans oder neuem Spandex aus der Telefonzelle geschickt wird – The Dark Knight Returns ist, was deutsche Intellektuelle gern mit dem Wort 'unhintergehbar' beschreiben: ein Text, der gezeigt hat, wie hässlich Superhelden eigentlich ohne Leni-Riefenstahl-Ästhetik wären und wie man aus einem erwachsen gemachten Crossover von A-Liga-Superhelden mehr machen kann als dreißig Splashpages mit Klopperei. Denn wenn sich beim Showdown zwischen Batman und Superman fünfzig Jahre Hassliebe entladen, hat das nichts elegantes, schönes, erhabenes. Und trotzdem – oder deswegen – bringen diese paar Seiten die Schizophrenie des Superheldenkonzepts besser auf den Punkt als ganze Jahrgänge und Serien. Dass Superman der blauäugige Lakai eines korrupten, kapitalistischen Systems ist, wussten wir vorher schon, doch Miller macht überdeutlich, dass die Alternative eben nur Bruce Wayne sein kann, ein im Kopf schon immer verknöcherter Übermensch mit der Seele eines Achtjährigen, der sich selbst etwas nicht verzeihen kann, woran er keine Schuld trägt. Wenn es in den gewöhnlichen Crossovers darum geht, uns die ganze Palette eines Superheldenuniversums aufzufächern, damit wir uns die passende Identifikationsfigur aussuchen können, zwingt uns The Dark Knight Returns die Frage auf, wer uns mehr Angst macht: der unbezwingbare Außerirdische, dessen Körper ihn selbst zur Wunderwaffe macht, oder der gewöhnliche Sterbliche, der nichts mehr zu verlieren hat und jederzeit bereit ist, für seine Ideale sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen.

Nein, ich mag dieses Buch noch immer nicht, aber ich bewundere es in vielerlei Hinsicht. Es ist der hässliche, unsubtile Klassiker.     

Platz 4


Brian K. Vaughan/Tony Harris: Ex Machina (Wildstorm, 2004-2010)

Ex Machina hat den vielleicht unbeholfensten, uncoolsten Superhelden aller Zeiten. (Und nein, ich vergesse weder das Pickelgesicht in Kick-Ass noch den irren Burgerbräter in Super). Mitchell Hundred ist ein Bauingenieur, dem ein außerirdisches Artefakt Macht über Maschinen verleiht, und der dann als Superheld mit dem Namen – festhalten – "The Great Machine" New York beschützt. Wie in vielen anderen zeitgenössischen Texten ist die Welt von Ex Machina betont nah an unserer Realität, in der Mitchell der einzige Superheld ist, und er hat auch nur einen Superschurken als Gegner, dessen Kraft ihn mit Tieren kommunizieren lässt. Wer jetzt denkt, dass das ziemlich offensichtliche, platte Metaphern sind, hat völlig recht. Ex Machina nimmt das aber nur als Aufhänger. Der eigentliche Knüller ist, dass Mitchell seine Kräfte kurz vor 9/11 bekommt und zwar einen der Türme des World Trade Centers retten kann, sich als Superheld aber dennoch völlig nutzlos empfindet. Also macht er seine Identität öffentlich, kandidiert als Bürgermeister und wird tatsächlich gewählt. Die Serie erzählt von den vier Jahren Mitchells im Amt, von seinem Jahr als Superheld, von seiner Kindheit, von amerikanischer Realpolitik, dem Vatikan und M-Theorie, und das alles gleichzeitig, oft auf drei Zeitebenen in einem einzelnen Heft.

Vaughan hat ein paar Lieblingsthemen, die auch hier zentral sind, allen voran Geschlechterpolitik, Umweltschutz und Generationenkonflikt, doch er schafft es, nie darüber zu dozieren. Seine Dialoge sind naturalistisch bis an die Grenze der Unverständlichkeit (und nicht, wie Brian Azzarellos, weit darüber hinaus), und all seine Figuren haben Humor und sind sympathisch. Mitchell ist ein Nerd, der ungewollt ins Rampenlicht katapultiert wird und dem jeden Tag seine Grenzen vor Augen geführt werden, der aber ebenso sehr daran glaubt, dass politische Verantwortung darin besteht, selbst zu handeln. Die fünfzig Bände von Ex Machina zu lesen ist, wie einem guten Jongleur zuzusehen, der unglaublich viele Bälle gleichzeitig in der Luft hält. Gegen Ende verpasst er den ein oder anderen, aber das schmälert seine Leistung nicht. Vaughan schafft es, die Vielfalt und das Chaos der Realität in einer Geschichte zu verpacken, die sich wie von selbst liest, obwohl sie vor Symbolik und Denkanstößen nur so überfließt. Das hat sehr viel mit der Schönheit von Tony Harris' Zeichnungen und den großartigen Farben JD Mettlers zu tun, die selbst die groteskesten Figuren und Ereignisse in Bilder pressen, die die Eleganz Alfons Muchas und das Überirdische von Kirchenfenstern haben. Die Spannung zwischen der Handlung und der Art, wie sie visualisiert wird, gibt dem ohnehin schon dichten Comic den letzten Schliff, die letzte Ebene eine ungeheuren Komplexität, die sich selbst in guten Comics so nur selten findet.

Ob das Ergebnis perfekt ist, weiß ich nicht, aber wer das erste Heft von  Ex Machina liest und danach nicht mehr von diesem Autor und seinem Zeichner sehen will, hat kein Gespür für Comics. Ich erwarte jedenfalls großes von den beiden.

Platz 3


Mark Waid/Alex Ross: Kingdom Come (DC, 1996)

Nachdem Frank Miller die mythologische Dimension der Superhelden völlig demontiert hatte, war es selbstverständlich nur eine Frage der Zeit, bis jemand die Herausforderung aufnehmen würde, wieder von einem Pantheon zu erzählen, ohne Schönfärberei zu betreiben. Waid und Ross wählen als Metapher ein biblisches Weltende – die Johannesoffenbarung wird gleich zu Anfang lang und breit zitiert. Sie erzählen jedoch nur scheinbar vom letzten Gefecht von Gut und Böse, und die ganze metaphysische Frage bleibt ein bisschen vage, weil wir zwar einen Priester als Hauptfigur haben und Glaube eine große Rolle spielt, das eigentliche Geschehen von Kingdom Come aber nicht in jüdisch-christlichen Traditionen steht. Vergebung und Nächstenliebe bilden den Schlusspunkt, aber dazwischen ist Götterdämmerung und Titanenschlacht angesagt. Kingdom Come ist – vorsicht, jetzt wird's vollmundig – nichts weniger als die Ilias des 20. Jahrhunderts.

Homers Epen – selbst in der Petersen-Variante mit Brad Pitt – handeln von kleinen, gewöhnlichen menschlichen Schwächen, die unvorstellbare Ereignisse in Gang setzen. Die epische Größe resultiert, wie im antiken Drama, zum einen aus der 'Fallhöhe' – dem dämlichen Fehler, der noch dämlicher ist, wenn ihn ein Halbgott oder König begeht statt eines Bauern –, zum anderen aus den Auswirkungen. Die Ilias erzählt von nichts anderem als dem Ersten Weltkrieg der griechischen Kultur: Alle Völker kommen zusammen und all ihre Heroen, und auch wenn es Verantwortliche gibt, die moralisch fragwürdig sind, treffen nicht Gut und Böse aufeinander, sondern große Helden, die mehr oder minder zufällig auf unterschiedlichen Seiten stehen. Das größte Problem, das wie heute mit dem Verständnis dieser antiken Epen haben, ist unser mangelndes Wissen um die antike Welt, vor allem aber um ihre Mythen, wie sie vorher existierten. Auch Homer bricht mit Traditionen, verändert überlieferte Figuren, nimmt sich Freiheiten, um eine großartige Geschichte zu erzählen, nur können wir das heute nicht mehr wirklich beurteilen, weil große Teile unseres Wissens um die antike Mythologie aus seinen Texten kommen. Das ist ein bisschen, als würde man in dreitausend Jahren Superhelden anhand von The Dark Knight Returns verstehen wollen ...

Kingdom Come erzählt von dem Aufeinandertreffen der ganz Großen wegen eines Streits, in dem es keine richtige und falsche Position geben kann, in dem sich beide Seiten in ihren Positionen verrannt haben und nicht das Gesicht verlieren wollen, in dem trotz aller Intrigen die Entscheidung von einem unschuldigen Menschen abhängt. Noch mehr als in Marvels wendet sich Alex Ross von den ästhetischen Traditionen des Superheldengenres ab. Seine Panels sind Gemälde von apokalyptischer Schönheit, und seine Figuren entsprechen bewusst nicht den Schönheitsidealen unserer Zeit. Superman und Captain Marvel sehen aus wie Bodybuilder aus den Fünfzigern, und das stellt mit unseren Synapsen ganz großartige Dinge an, wenn Superman wie ein italienischer Kraftmaxe als Sandalenfilm-Herkules aussieht. Ross versucht gar nicht erst, ein Bild für tatsächliche Titanen zu finden, sondern greift für seine modernen Halbgötter auf unser modernes Bildgedächtnis zurück. Und das, ohne die Essenz des Comicbilds zu ignorieren, wenn er bereits auf dem Titelbild über die Symbole der zwei zentralen Kontrahenten alles sagt. Supermans Selbstzweifel kommen in seinem geschwärzten Brustschild ebenso zum Ausdruck, wie Billy Batsons Reinheit im strahlenden Gold seines Blitzes. Und dahinter treffen sie alle aufeinander, die erste, zweite und dritte Reihe von DCs Superhelden, und als wäre das nicht genug, noch zwei, drei Dutzend neuer, postmoderner Helden und Schurken, deren Geschichten wir zumindest teilweise kennen, so wie ihre Verhältnisse, ihre Hintergründe, ihre Motivationen. Ein bisschen so, als würden wir dem antiken Sänger zuhören, der uns von den Halbgöttern und Königen erzählt, deren Geschichten wir zu kennen glauben.

Episch eben.

Platz 2


Brad Meltzer/Rags Morales: Identity Crisis (DC, 2004)

Über Identity Crisis kann man nur schwer etwas schlechtes sagen. Vielleicht – vielleicht, weil ich nicht weiß, ob es überhaupt etwas schlechtes ist –, dass dieser Comic von einem Romancier geschrieben ist und deshalb vielleicht auch ohne Bilder ebenso gut funktionieren würde. Aber das ist pure Spekulation, die zu weiten Teilen daher rühren dürfte, dass Meltzers Geschichte keine außergewöhnliche Optik braucht, um zu zeigen, dass das hier anders und besonders ist. Rags Morales hat den Mut, in seinem ersten richtig großen Projekt trotz der Anti-Superheldenstory, die es erzählt, einen ganz klassischen Stil zu wählen. Die ersten paar Seiten sind trügerisch konventionell. Die farbigen Textkästen irritieren ein wenig, aber ansonsten könnte man anfangs denken, einen beliebigen zeitgenössischen Superheldencomic zu lesen, so elegant, stilisiert und glatt sind Morales' Panels. Es dauert eine Weile, bis man merkt, wie Meltzer mehrere Stimmen überlagern lässt, wie er seine eigene Erzählung gleich auf der ersten Seite kommentiert, wie clever er einen Ton aufrechterhält, der ein ganz klein wenig verstört, ohne dass wir wüsste, warum, oder vielleicht auch nur merken, dass dem so ist.

Dann kommt der Schlag in die Magengrube, wenn Ralph Dibny – ein klassischer DC-Held aus der zweiten Reihe – seine ermordete Ehefrau zu Hause findet, die ihm gerade von ihrer Schwangerschaft erzählen wollte. Es ist eine Sache, wenn uns mit Spawn oder dem Ghost Rider verkokelte, untote Dämonen in Superheldencomics präsentiert werden, aber die verbrannte Leiche einer der nettesten, harmlosesten "Spielerfrauen" in der Geschichte des Genres ist etwas völlig anderes. Gewalt, die sonst merkwürdig ohne Konsequenz bleibt, wird in ihren fürchterlichen emotionalen Auswirkungen in den Vordergrund gerückt. Nicht nur leidet Ralph Dibny wie ein Hund – und zu sehen, wie er beim Begräbnis seiner Frau die Kontrolle verliert, gehört zum berührendsten, was je in Comics gezeichnet worden ist –, die ganze Superheldengemeinschaft verliert die Fassung. Plötzlich gehört Batman zu den rationalsten und gefasstesten, während alle um ihn herum nach Rache schreien und ganz bewusst von Justiz zur Selbstjustiz übergehen.

Hätte Identity Crisis nicht mehr zu bieten, wäre es schon ein großartiger Comic. Doch eigentlich fängt die Geschichte erst hier richtig an, und Meltzer wendet an, was er bei Alan Moores Miracleman gelernt hat: von einem logischen Bruch ausgehend das ganze Genre zu dekonstruieren und dabei neu zu definieren. Er schaut sich das kollektive Kostüm aller Superhelden an, fasst einen kleinen hervorstehenden Faden ins Auge, greift sich das Lose Ende ganz zart und ribbelt vor unseren Augen das ganze Gewebe auf. Fast alle anderen Comics, die mit den Superhelden hart ins Gericht gehen, stellen sie an den Pranger und fragen uns: Sind diese Halbgötter tatsächlich besser als wir? Sind sie auch nur gut? Meltzer nimmt andere Fragen auf, die schon seit Stan Lee Superhelden umgetrieben haben, vor allem die Angst vor den Auswirkungen auf geliebte Menschen, wenn man eine gewagte Position bezieht. Doch wo Peter Parker es irgendwie noch schafft, moralisch integer zu bleiben, während er seine Tante May vor Doc Ock beschützt, fragt uns Meltzer auf den Kopf zu, wo unsere Moral bleibt, wenn wir unter Druck, in einem einzigen, entscheidenden Moment, über den Schutz unserer Familie entscheiden müssen.  

Identity Crisis bringt das Kunststück zustande, Superhelden ihre Menschlichkeit zurückzugeben, ohne sie damit zu verklären. In ihren schwächsten Momenten sind sie nicht besser als wir, und vielleicht ist das alles, was zählt: sie treffen Entscheidungen wie wir, und wenn sie zwischen zwei falschen Entscheidungen zu wählen haben, müssen sie sich trotzdem entscheiden – genau wie wir. Sie sollten besser sein, weil sie manchmal stärker sind, können es aber nicht, weil sie immer genauso schwach sind wie wir. Emotional wahrer ist wahrscheinlich kein anderer Superheldencomic je gewesen.

Platz 1


Alan Moore/Dave Gibbons: Watchmen (DC, 1986)


Keine Überraschung, nehme ich an, nachdem ich schon ein Buch darüber geschrieben habe. Eigentlich haben Moore und Gibbons in Watchmen alles mit dem Thema gemacht, was möglich ist. Was Geschlossenheit, Perfektion und Kunstfertigkeit angeht, ist Watchmen nichts weniger als der Gipfel der Comickunst – vielleicht nicht der beste Comic aller Zeiten, aber mit absoluter Sicherheit unter den Top Ten, falls sich irgendwer an so eine Liste herantraut. (Und nein, ich will nicht wissen, wie viele Autoren diese Liste schon verbrochen haben. Und erst recht nicht, was in ihnen steht.)

Die anderen Titel in dieser Liste führen alle ein oder zwei der Themen weiter aus, die Moore und Gibbons hier entworfen haben, oder sie sind – im Fall von Moores eigenem Miracleman – eine Vorstudie. Das macht sie häufig radikaler und auf ihre Art überzeugender, aber zehn Minuten mit Watchmen, und das ist alles wieder vergessen. Sicher muss man sich darauf einlassen, und man muss vielleicht auch ein Kind der Achtziger sein, um die Glätte und Kälte von Geschichte und Grafik wirklich zu goutieren es ist sicherlich das Comic-Äquivalent zu einem Kraftwerk-Album. Wenn The Dark Knight Returns die Potentiale der Hässlichkeit ausgelotet hat, ist Watchmen ins andere Extrem getrieben. Aber wie Peter Lorre und John Gieldgud oder – für die nicht-Hitchcockianer unter uns –  Paul Giamatti und Thomas Hayden Church gehören sie zusammen und ergeben nur gemeinsam ein Bild (wenn auch immer noch kein schönes).

Dennoch: Watchmen ist das Buch für die Insel. Wenn ich drei Bücher mitnehmen dürfte, würde ich wahrscheinlich noch Ulysses einstecken und den Gutschein für Buch drei dem nächsten prospektiven Gestrandeten überlassen.

Noch zweitausend Jahre intensive Lektüre, und ich habe vielleicht verstanden, worum es in beiden geht.

Freitag, 15. März 2013

Zwischen Kopenhagen und Gotham, Teil 2

Hajos Superhelden-Top Ten (zehnter bis sechster Platz)


Wer gestern die Einleitung hierzu verpasst hat, sollte sich die vielleicht noch ansehen – ansonsten wirkt das Folgende vielleicht ein bisschen zusammenhanglos und willkürlich (was es wohl aus ist, aber ich kann es erklären! Wirklich!)

 

Platz 10


Alan Moore/Gene Ha: Top Ten (America's Best Comics, 1999-2001)

Top Ten in den Top Ten! Sie bemerken den feingeistigen, hintersinnigen Witz! Welch ein Schenkelklopfer!

Okay, ich gebe zu, vielleicht hätten es andere Texte eher in diese Liste geschafft, wenn dieser Titel nicht wäre, aber dennoch würde ich jederzeit die Bedeutung dieser (für Alan Moores Verhältnisse) recht unbekannten Reihe verteidigen. Das Konzept klingt zunächst einmal total Banane: Justice League of America trifft NYPD Blue. In einer von Nazi-Architekten nach dem Krieg speziell für diesen Zweck geschaffenen Satellitenstadt leben die Superhelden der Welt in einem Ghetto, denn niemand will sie im Rest der Welt. In dieser Umgebung, in der jeder 'super' ist, herrscht ein ganz normaler Ausnahmezustand, in dem eine Polizeitruppe mit den gleichen Problemen wie sonst überall zu kämpfen hat. Wie Moore ständig auf dem schmalen Grat zwischen Persiflage und Charakterdrama balanciert wirkt anfangs vielleicht wie die unspektakuläre Fingerübung eines zu routinierten Autors, ist aber bei näherem Hinsehen großartig gemachtes Geschichtenerzählen. Und Gene Ha schafft es tatsächlich, dieses Thema in einem angemessenen Stil umzusetzen, der das Grandiose mit dem Elenden vereint, ein bisschen Augenzwinkern beigibt, und kräftig geschüttelt und mit etwas Eis einen leckeren Rausch ohne klebrigen Nachgeschmack erzeugt. Und wer wollte nicht schon einmal sehen, wie es bei Superhelds morgens beim Frühstück aussieht, wenn man sich nach einer unruhigen Nacht hustend und fluchend ins zu eng gewordene Kostüm zwengt, um malochen zu gehen ...

Und ganz davon abgesehen: nach dem fünfhundertsten Aufguss des edlen Wilden vom andern Stern oder des dunklen Rächers ist es einfach erfrischend, welche bizarren und schlichtweg sinnlosen Superhelden Moore aus dem Ärmel schüttelt. Ich denke ja schon eine ganze Weile, dass sich weite Teile der Comicgeschichte der letzten zwei Jahrzehnte aus einer stillen Rivalität zwischen Alan Moore und Grant Morrison herleiten lassen, und wenn das stimmen sollte, wären die Figuren in Top Ten eindeutig Moores Antwort auf Morrisons Lord Fanny, Danny the Street oder die Brotherhood of Dada. Die sind zwar vielleicht noch etwas abgedrehter, aber erstens hat Moore mit Swamp Thing vorgemacht, wie man wirsche Superhelden schreibt, und zweitens sind einige der schrägen Vögel aus Top Ten auch richtig grenzwertig. Kemlo "Hyperdog" Caesar ist ein Doberman im Exoskelett. Irma "Irmageddon" Wornow ist ein dickliches Muttchen, das seinen Kindern Butterstullen schmiert, bevor sie in ihren Atomwaffen-Kampfanzug steigt. Und dann ist da noch Bob "Blindshot" Booker, ein blinder Taxifahrer, der sich ganz auf seine nicht vorhandenen Zen-Kräfte verlässt – die ausschließlich darin bestehen, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer in den Stand bremsen, wenn sein schlingerndes Taxi ankommt. Superhelden sind eben auch nur Menschen. Oder Dobermänner. Oder intergalaktische Roboter. Wie Du und ich, eben.

Platz 9


Kurt Busiek/Alex Ross: Marvels (Marvel, 1994)

Die Frage, wie eine realistische Welt aussehen würde, in der Superhelden existieren, ist seit Mitte der Achtziger immer wieder gestellt worden. Busiek und Ross finden einen ungemein faszinierenden Zugang, eine überzeugende Geschichte und eine absolut hinreißende und angemessene Optik.

Das Cover sagt eigentlich alles, und trotzdem liest man jede Seite mit einer Mischung aus Nostalgie, Faszination und Deja-vu. Alex Ross' hyperrealistische Bilder zeigen das Marvel-Universum durch die Augen (und die Linse) eines Fotoreporters, von der Schöpfung der ersten menschlichen Fackel bis hin in die Siebziger mit ihren radikalen gesellschaftlichen Umwälzungen. Die massigen Körper von Ross' Figuren – er lässt gern Freunde und Familie für die Superhelden Modell stehen – geben seinen Übermenschen eine irdische Qualität: sie sind eben nicht völlig perfekt, weder physisch noch moralisch, und genau davon handelt auch die Quasi-Autobiographie der Hauptfigur Phil Sheldon. Aus diesem extrem menschlichen, ungemein privaten Fokus betrachtet gewinnt die Marvel-Mythologie eine ganz neue Dimension. Weil Peter Parker dreißig Jahre lang selbstmitleidig über seine Pubertät monologisiert hat, sind wir auf Stan Lee hereingefallen, der uns glauben machen wollte, bei Marvel hätten die Gefühle der einfachen Menschen eher ihren Platz als bei der Konkurrenz. Nach der Lektüre von Marvels begreift man, dass das so nicht stimmt, denn Busiek und Ross schaffen es, uns nichts zu erzählen, was wir nicht eigentlich schon wüssten, und uns doch auf jeder Seite zu überraschen, weil wir die Titanenschlachten zwischen der menschlichen Fackel und Prinz Namor oder den Angriff von Galactus nie aus der Straßenperspektive gesehen haben. Gerade dass Sheldon hin und her gerissen ist, was die Superhelden angeht, macht diese Version der großen Mythen des 20. Jahrhunderts so besonders. Wo uns das Genre sonst ständig auffordert, unseren gesunden Menschenverstand an der Tür abzugeben, lässt Busiek nachvollziehbar werden, was es hieße, tatsächlich mit solchen Ereignissen konfrontiert zu sein.

Ach ja, und eine Geschichte des Superheldencomics ist das Ganze natürlich auch. Das gibt es hier noch gratis dazu, während uns Crossover-'Events' (wie das die Branche im Moment so gern nennt) für gewöhnlich nur eindrücklich vor Augen führen, wie sinnentleert unsere Existenz doch ist, weil wir keine 52 Serien parallel gelesen haben, um den plötzlichen Farbwechsel des Hulks oder das neue Kostüm Green Lanterns verstehen zu können. Und auf jedem Kaffeetisch macht es sich gut, falls jemand Lust hat auf "ist das noch ein Comic"-Smalltalk.

Platz 8


Alan Moore/Alan Davis/Gary Leach/John Totleben: Miracleman (Eclipse, 1982-1989)

Dominik sei Dank habe ich diesen lang vergriffenen Schatz der Comicgeschichte erst kürzlich in die Finger gekriegt. Die Publikationsgeschichte und das Gezerre um die Rechte an der Figur sind legendär und in gewisser Weise äußerst unterhaltsam,  und wahrscheinlich gehört die Serie zu den Werken der Kulturgeschichte, die häufiger zitiert als tatsächlich gelesen worden sind.

Wenn man in den Genuss kommt, diese Serie heute am Stück zu lesen (und nicht, wie zu ihrer Veröffentlichung, über eine endlose Periode mit jahrelangen Pausen und Verlagswechseln), fällt einem der sonderbare Rhythmus der Geschichte auf. Eigentlich müsste alles völlig zerfahren sein, unzusammenhängend und ungelenk, aber Moore bringt auf den ersten paar Seiten eine Schneekristall ins Rollen, der sich zu einer tosenden Lawine steigert – beinahe quälend langsam, aber absolut unaufhaltsam. Die wechselnden Zeichner sind dem Thema nicht gleichermaßen gewachsen, aber – auch hier wieder im Vergleich mit dem Jahre später bewussten Verweigern gegenüber einer durchgehenden Zusammenarbeit mit einem Zeichner bei Morrisons The Invisibles oder Gaimans Sandman – gerade diese formalen Brüche unterstreichen letztlich, was Moore konzeptuell anstrebt. Vergleicht man die historischen Marvelman-Passagen von Mick Anglo am Anfang der Serie mit John Totlebens ätherischer ist-das-noch-Comic-Ästhetik, wird auch auf der Bildebene die Reife und das künstlerische Potential der Gattung überdeutlich.

Miracleman bringt so vieles zusammen, was heute im Superheldencomic gar nicht mehr losgelöst voneinander zu denken ist: Revisionismus, Moraldiskussion, extreme Gewaltdarstellung, Metaphysik ... die Formel, aus der auch heute noch die kritische Auseinandersetzung mit dem Genre gemacht wird. (Über die Hälfte der Titel auf dieser Liste gehören in diese Tradition). Die Geschichte Mike Morans, der nach zwanzig Jahren plötzlich erkennt, dass er als junger Mann ein Superheld gewesen ist, hat großes menschliches und identifikatorisches Potential – so etwas wünschen wir uns insgeheim vielleicht doch auch. Aber was wie ein Traum beginnt, wird rasend schnell zum Alptraum, denn Miraclemans früherer Sidekick ist erwachsen geworden, und weil er kein Vorbild und keine Erziehung hatte, ist aus ihm ein wahnsinniger Sadist geworden, und um den zu bekämpfen, muss Mike Moran sich buchstäblich von seiner Menschlichkeit loslösen.

Wo Busiek in Marvels versucht, die Perspektive des Genres so umzukehren, dass wir verstehen, was es heißen würde, uns angesichts von Superhelden machtlos zu fühlen, geht Moore ins andere Extrem und führt uns vor, wie ein vollends göttlich gewordenes künstliches Wesen mitleidig auf die Menschheit hinabsieht – und dabei selbst unter Seinesgleichen nur ein Stümper bleibt, den seine eigene Tochter mindestens ebensosehr übertrifft wie er die Menschen. Auch in dieser Hinsicht erscheint es unglaublich, dass diese Serie derart bruchstückhaft entstanden ist, denn erst aus dem Abschluss, Miraclemans wohlwollender Herrschaft über eine von ihm totalitär geführte utopische Erde, wird die Notwendigkeit für die Exzesse der Serienmitte deutlich. Die detailversessene Darstellung einer Geburt mit allem Schleim und Blut und naturalistisch wiedergegebenen Geschlechtsteilen ist ebenso wie das Abschlachten der Bevölkerung Londons gleichzeitig eine logische Konsequenz einer ernstgenommenen Superheldenexistenz und die notwendige Vorbedingung, um diese in ihre letzte Konsequenz zu führen.

Wenn das abgehoben und verkopft klingt, ist das genau richtig. Aber allein schon, dass Moore es schafft, die gesamte Idiotie und Banalität eines zweitklassigen Sixties-Comics logisch zu erklären, fortzuschreiben und dann zu überwinden, macht Miracleman zu einem Meisterwerk, nach dem sich manch einer zur Ruhe gesetzt hätte. Bei Moore reicht das nur zu einem chef-d’œuvre inconnu. Er hatte halt noch was vor.

 

Platz 7


Warren Ellis/Brian Hitch: The Authority (Wildstorm, 1999-2001)
Garth Ennis/Carlos Ezquerra/Glen Fabry: Kev (Wildstorm, 2002-2007)

Zwei Titel auf Platz 7, aber ohne zu schummeln. Warren Ellis' Überarbeitung der Wildstorm-Serie Stormwatch zu The Authority ist ein typisches Produkt der ausgehenden Neunziger: Lauter, schneller, brutaler. Wenn der Midnighter einen nervigen Terroristen (Modell Dr. Fu-Manchu auf richtig schlechten Drogen) zur Strecke bringt, indem er ein kilometerlanges Raumschiff durch dessen Hauptquartier pflügt und dabei mehr als nur ein bisschen Kollateralschaden in Kauf nimmt, weiß jeder, was gebacken ist. Auch hier wirkt die Mischung aus interessanten Figurenkonstellationen und ungewöhnlichen Superhelden mit Kräften, die alles andere als von der Stange sind (wie Jack Hawksmoor, der mit Städten kommuniziert, und dem Doktor, einem ständig zugedröhnten Schamanen). Was mich an The Authority fasziniert ist die Kombination aus einer oberflächlich voll funktionierenden Superheldenerzählung – man kann diese Comics auch unironisch lesen – und völlig gegen den Strich gebürsteten Elementen. Zwei der Hauptfiguren, Apollo und der Midnighter, sind derart schamlose Epigonen von Superman und Batman, dass niemand auch nur fünf Seiten braucht, um die Bezüge zu erkennen. Interessant wird das ganze dann zunächst, wenn sich Apollo (Superman) als taube Nuss und der Midnighter (Batman) als zynischer Misanthrop herausstellen. Richtig interessant wird es, wenn sich die beiden offen als Liebespaar zu erkennen geben.

Mit den Figuren ist seit Ellis' Gründung des Teams einiges passiert – zwischenzeitlich hat sie DC in die große, glückliche Familie des DC-Universums geholt (und ich will gar nicht wissen, wie das ausgesehen hat) –, aber nicht alles davon war schlecht. Die Schraube so richtig weitergedreht hat mein alter Spezi Garth Ennis, der größte Militarier diesseits von Tom Clancy, dessen Preacher noch immer die Messlatte für alle nicht-wirklich-Superhelden ist. Ennis hat mit seinen Preacher-Spießgesellen Glen Fabry und Carlos Ezquerra ein paar Spin-Offs zu The Authority gemacht, die sich um Kev Hawkins drehen, den glücklosesten Special-Forces Soldaten der Welt. Ennis schubst via diesen Charakter das ganze Authority-Universum weit über die imaginäre Linie, die es von der Farce trennt, und schafft es jedesmal wieder zurück ins Gebiet des ernsthaften Superheldengenres. Das funktioniert vor allem, weil er Kev quasi als Superhelden schreibt, der mit der unnützesten aller Superkräfte, dem Super-Pech, geschlagen ist. Das ist in erster Linie saukomisch – Kev ist nämlich nicht nur glücklos, sondern auch blöd –, hat aber auch eine Menge reflexives Potential, wenn sich der homophobe Ledernacken nach und nach zum Helden entwickelt. In seiner letzten Geschichte müssen die Superhelden schließlich gar nicht mehr auftauchen. Und wenn ein Versager wie Kev keine Superhelden braucht, sagt das eine Menge! 

Platz 6


Garth Ennis/Derick Robertson: The Boys (Dynamite, 2006-2012)

So wie es schwerfällt, Miracleman nicht als Studie zu allen folgenden Projekten Alan Moores zu lesen, ist Garth Ennis' Kev aus The Authority die unverkennbare Vorstufe zu dessen letztem großen Streich. The Boys handelt von einer CIA-finanzierten Schlägertruppe, deren Aufgabe es ist, ein Auge auf die Superhelden zu halten. Unbegrenzte Macht könnte einen schließlich korrumpieren, nicht wahr? Wer nun an eine moralisch auch nur ansatzweise eindeutige Geschichte denkt, hat die Rechnung ohne Ennis gemacht. Selbst für seine eigenen Verhältnisse unverblümt macht Ennis deutlich, was man konsequenterweise von Superhelden halten muss. Dass gegen Individuen mit unbegrenzter Macht nur Individuen mit unbegrenzter Macht etwas ausrichten können, lässt Ennis' ebenso wahnsinnige wie sympathische Killerbrigade zu dem werden, was sie selbst am meisten hasst und fürchtet, was sie zwar vor sich selbst verbergen können – sie tragen schließlich keine Kostüme, sondern schwarze Ledermäntel und Springerstiefel –, aber nicht vor den Lesern (hüstel, Gestapo, hüstel).

Wenn sich andere Autoren damit aufhalten, die moralische Ambivalenz von Superhelden zu erforschen, zu erklären, zu legitimieren, ist die Sache in The Boys ganz einfach: Superhelden sind Arschlöcher. Ausnahmslos. Macht aber nichts, der Rest der Menschheit ist auch nicht viel besser. Der eigentliche Held der Serie ist Wee Hughie, ein schottischer Nerd (mit verblüffender Ähnlichkeit zu Simon Pegg), der bei einem Superhelden-"Einsatz" seine Freundin verliert. Weil sie dieses Schicksal teilen, wird Hughie von Billy Butcher rekrutiert, dem Leiter von 'The Boys'. Butcher ist Brite, hasst prinzipiell jeden außer seiner Bulldogge Terror, und rangiert definitiv ganz oben auf der Liste fiktiver Figuren, denen man nicht zwischen Tag und Dunkle begegnen will. Er ist wie die Essenz eines Schulhofschlägers, der ganz genau weiß, dass er nur ein klein wenig größer und stärker sein muss, um einem Angst einzujagen. Deshalb grinst er auch ständig, denn er ist völlig unangreifbar, und wenn das mal jemand nicht glaubt, gibt's ein paar gebrochene Finger. Oder Arme. Oder Tote. Auch egal.

The Boys ist eine Farce, und dementsprechend gibt es jede Menge Fäkal- und Genitalwitze, Menschenverachtung, und eine üppige Ladung Gewalt, bei der jede Katharsis auf der Strecke bleibt. Aber das passt alles zusammen, denn Ennis und Robinson nehmen den Tiefpunkt der Parabel unter die Lupe, die Alan Moore in Miracleman entworfen hat. Und da, ganz tief unten, entdecken sie noch eine Menge Dinge, an die wir nie gedacht hätten. Das hat was von einer Tauchfahrt in den Mariannengraben der menschlichen Seele. Wenn das Ende der Serie dann nach siebzig Heften, die Zynismus ständig neu definieren, betont versöhnlich und positiv daherkommt, hofft man als Leser auf Ennis' Autobiographie und die Enthüllung, dass man ihn dazu gezwungen hat, zum Schluss nicht ganz die Sau rauszulassen. Auch nur eine Figur am Schluss als Helden dastehen zu lassen, erscheint nach dieser Dekonstruktion nicht nur der Moral von Superhelden, sondern von Menschen ganz allgemein, als Ausverkauf. Vielleicht soll es ein Hoffnungsschimmer sein, aber ganz ehrlich: Wenn uns Garth Ennis fünf Jahre lang glaubhaft macht, dass die Erde der Enddarm des Universums ist, ändert ein einzelner Lichtstrahl im Dunkel auch nicht viel. Er macht in keinem Fall die Dinge besser. Oder wie es Billy Butcher sagen würde: "Terror: Fuck it!" 


Platz 5 bis 1 gibt es dann morgen!

Donnerstag, 14. März 2013

Zwischen Kopenhagen und Gotham, Teil 1

Wahrscheinlich sollte ich das nicht so offen zugeben, aber ich kann ja nicht anders, als meine Leserwünsche zu erfüllen. Bürosituation? Beziehungsratgeber? Nichts leichter als da. Wenn sich aber der beste aller Nachbarn eine Top Ten meiner liebsten Superheldencomics wünscht, wird mir einen Moment lang schwarz vor Augen. Ranglisten? Lieblingsirgendwas? Schockschwerenot! Ich will jetzt nicht philosophisch werden, aber wenn ich zehn Exemplare irgendeiner Gattung auswählen soll, deren Qualität sie von ihresgleichen abhebt, impliziert das ein Stück weit Unvergleichlichkeit. Also spätestens, wenn ich nicht nur meine Lieblinge benennen, sondern sie auch noch in eine Reihenfolge bringen soll, kommt mein analytisches Denken ins Schwimmen.

Natürlich sorgen derartige Überlegungen nicht dafür, dass ich die Sache aufgebe und vergesse. Ganz im Gegenteil: seit einer Woche habe ich immer wieder über Chris' Frage nachgedacht und versucht, meinen eigenen Widerwillen gegen Ranglisten zu ergründen und zu überlisten. Die wichtigste Erkenntnis war, dass es nur um Subjektivität und Geschmack geht, dass ich also aus dem Bauch raus antworten kann. Wenn man fast die Hälfte seines Lebens damit verbracht hat, sich selbst und seinen Studenten genau das auszutreiben, ist es nicht ganz so leicht, das zuzulassen, aber ich habe es immerhin versucht.

Meine Top Ten der Superheldencomics gibt es deshalb dann auch, wie sich das gehört, in aufsteigender Reihenfolge und auf mehrere Posts verteilt. Was wahrscheinlich selbst Nicht-Kennern auffallen wird und deshalb vorweg angesprochen gehört: Es ist kein einziger "klassischer" Comic darunter, nichts aus Golden, Silver oder auch nur Bronze Age. Das heißt natürlich nicht, dass ich meine Klassiker nicht gelesen hätte oder sie nicht schätzen würde. In meinem Denken über Superheldenstoffe haben sie aber eben den Status von Mythen. Sie bilden die Grundlage für alles, was danach kommt, aber es liegt in ihrer Natur, dass sie immer wieder erzählt worden sind und dass nicht unbedingt die erste Fassung die prägende ist. Der Mord an Thomas und Martha Wayne, der Tod Gwen Stacy's, die Ankunft Supermans auf der Erde – all das ist dutzende Male erzählt worden, und die Überschneidungen und Widersprüche zwischen den verschiedenen Versionen sind es, die diesen Figuren und ihren Geschichten den überlebensgroßen Status verleihen. Sicher gibt es Ausnahmen, aber wenn ich etwa die Knightfall-Saga in die Liste aufnehmen würde, müsste ich, der Gründlichkeit halber, Action Comics # 1, Detective Comics #1, Showcase #4, Fantastic Four #1 usw. in die Liste aufnehmen, denn dann würde ich von der historischen Wichtigkeit der einzelnen Geschichten sprechen und davon, wie sie das Genre definiert oder verändert haben.

Meine liebsten Superheldencomics sind vielmehr diejenigen, die diesen mythologischen Rahmen als gegeben annehmen und sich von ihm abheben, den Status Quo eines Superheldenuniversums nicht als unveränderlich begreifen und nicht nach welterschütternden Ereignissen zu einem (vorgeblich) idealen Urzustand zurückkehren. Reine Parodien habe ich aber keine aufgenommen, weil mich da wieder mein Fachidiotentum zu sehr darüber nachgrübeln lässt, ob ein Fall wie Garth Ennis' und Amanda Conners großartiger One-Shot The Pro (Image, 2002) nun zu den Superhelden-Texten oder zu den Parodien, Pastiches oder Satiren gehört (und ob sich das wechselseitig ausschließt). Trotzdem ergibt die Auswahl ein ziemlich deutliches Bild und zentriert sich recht deutlich um ein paar Autoren, die ich (ganz unabhängig vom Genre) für sehr fähige Schriftsteller halte, und Zeichner, deren Stil ich zutiefst schätze.

Das alles nur zur Einleitung – willkommen bei Akademikers! Morgen gibt es dann Teil eins der Liste. Als Appetizer vorweg nur noch ein paar Texte, die es nicht in die Top Ten geschafft haben, obwohl ich sie sehr schätze und jederzeit empfehlen würde: Grant Morrison/Dave McKean: Arkham Asylum: A Serious House on Serious Earth (DC, 1989), Neil Gaiman/Andy Kubert/Richard Isanove: Marvel 1602 (Marvel, 2003), Mark Millar/Dave Johnson: Red Son (DC, 2003), Mark Millar/J. G. Jones: Wanted (Top Cow, 2003-2005) ... Und dann ist da noch die lange Liste mit Titeln von Morrison, Cooke, Bendis und Ellis, die ich selbst noch nur im Auge und nicht in der Hand habe.

So viel gute Bücher und nur so wenig Zeit!

Dienstag, 12. März 2013

Frühling ist Ansichtssache

Für die einen ist es die Klimakatastrophe, für andere der dänischste Frühling der Welt.

Als ich heute auf der Tagesschau-Website von dem zweiten (dritten? vierten?) Wintereinbruch in Deutschland und Frankreich gelesen habe, ist mir regelrecht warm ums Herz geworden. Oder zumindest auf der Haut, weil wir nämlich den ganzen Tag pralle Sonne im Büro hatten. Mein neuer Bürogenosse Rune hat den Nachmittag auf der Fensterbank im Sonnenschein lesend verbracht, wie ein einsneunzig großer roter Kater – vielleicht hat er sich auch genau deswegen einen ganz abscheulichen Freddy-Mercury-Schnurrbart stehen lassen, wer weiß.

Mit dem Gedanken an einen eingefrorenen Frankfurter Flughafen, den halb stillgelegten Metrobetrieb in Paris und die erwartungsgemäß damit einhergehenden zwei Stunden Durchschnittsverspätung bei der Deutschen Bahn habe ich mich dann im strahlenden Sonnenschein auf den Fußweg zurück von der Arbeit gemacht. Und dabei ganz hundserbärmlich gefroren, denn es sind zwischen -8 und -2 Grad, bei steifem bis stürmischem Wind von Nordost.

Die Dänen erzählen mir trotzdem die ganze Zeit, wie toll es ist, dass wir jetzt Frühling haben. Der lokale Gradmesser dafür ist wahrscheinlich, dass es wieder hell genug ist, um zu sehen, dass die Kanäle zugefroren sind. Ich verstehe ja nicht nur, dass nach wochenlanger Dunkelheit und Schnee jedes bisschen Sonne direkt Hektoliter Endorphine freisetzt, sondern erlebe es am eigenen Leib. Wie der Einheimische darauf reagiert, ist jedoch etwas überzogen. Ich spreche dabei nicht von den vereinzelten Spinnern, die sofort die kurzen Hosen auspacken sobald Ihnen der Atem nicht mehr im Bart gefriert, sondern von umfassenderen Verhaltensmustern. 

Am ersten März-Wochenende ist die Sonne hier zum ersten Mal rausgekommen, und Mitte der Woche waren wortwörtlich alle krank. Ich dachte zuerst, es wäre eine unaufhaltsame Grippeepidemie, bis mir heute einer meiner hiesigen Studenten erklärt hat, dass das die Frühjahrsanfangs-Erkältung ist. Sobald man wieder blauen Himmel sehen kann, rennt alle Welt direkt im T-Shirt durch die Stadt, weil sich jeder von seinem Weihnachtsgeld neue Tattoos hat stechen lassen und sie herzeigen muss. Vielleicht hat er ein bisschen übertrieben, aber nachdem die Stadt eine Rekonvaleszenz-Woche in Daunenjacken verbracht hat, war heute wieder einiges an tintengetränkter Haut zu sehen – drinnen wie draußen.

Aber ganz unironisch muss ich schon zugeben, dass die Stadt mit ein bisschen Sonnenlicht noch viel freundlicher und schöner ist. Und in ein paar der verwinkelten Ecken ist der Wind sogar derart erträglich, dass es sich nur anfühlt, als würde man im Gesicht mit einer Käsereibe traktiert. Da juckt es den kleinen Fotografen doch direkt in den Fingern, und das Handy darf ein bisschen vor sich hin knipsen. Da die verwinkelten Ecken um den Bahnhof herum gleichzeitig auch der Rotlichtdistrikt sind, gibt der Touri-Nummer einen leicht prekären Beigeschmack. Beim Versuch, fürs Bildermachen nicht direkt vor einer Bordelltür anzuhalten, bin ich prompt in meinen ersten Kopenhagener Kleindealer reingestolpert. Mit entschlossenem Gesicht betont in die andere Richtung gucken scheint aber ein recht internationaler Code für "ich hab nichts gesehen und gehe jetzt ganz zügig weiter, danke der Nachfrage" zu sein.

Immerhin weiß ich jetzt, dass es hier tatsächlich auch Kriminalität gibt. Bislang war ich fast schon davon ausgegangen, dass man das nur den Ausländern erzählt, damit sie hier nicht übermütig werden. Abgesehen von derartigen Erlebnissen ist ein Spaziergang durch Kopenhagens Westend aber ein einziger Kopfschüttler. Hier haben die Spielplätze ihre eigene Stadtmauer, und Kirchtürme gibt es in jeder nur erdenklichen Geschmacksrichtung, vom goldenen Zwiebelturm über Backsteingotik bis hin zu toskanischer Romanik. Was freu ich mich schon darauf, meine richtige Kamera auf diese Architektur loszulassen!

Vielleicht ist das auch der Grund, warum die hier Lego erfunden haben: damit sie sich architektonisch nicht immer im Maßstab 1:1 austoben müssen. Zuzutrauen wäre es ihnen. Wer bei Minusgraden den Frühling ausruft, hat jedenfalls eine ganz eigene Weltsicht – wahrscheinlich aber nicht die schlechteste! Es gehört auf jeden Fall schon eine Menge Lebensbejahung dazu, bei diesem Wind freiwillig vor die Tür zu gehen. Und eine stabile Blase. Aber das ist eine andere Geschichte ...



Nachtrag

So sieht es übrigens am Morgen nach dem endgültigen, richtigen Frühlingsanfang gestern hier aus. Ich kann es nicht erwarten, meine dänischen Kollegen darauf anzusprechen. Wo hatte ich bloß meine Winterklamotten hingepackt?

Sonntag, 10. März 2013

Einzug des Alltags

Die Frequenz meiner Blog-Einträge verrät es wohl schon: Seit dieser Woche bin ich endgültig in einer Art dänischem Alltag angekommen. Im direkten Vergleich mit den letzten Wochen lässt sich der Unterschied recht einfach festmachen: Ich war jeden Tag beschäftigt und produktiv, hab viel erledigt, aber trotzdem ist kaum etwas davon bemerkenswert. Im Vergleich zu den berstend vollen ersten Tagen an einem neuen Ort stinkt diese Normalität natürlich gewaltig ab. Als bekennender Epikureer wäre das normalerweise nichts, was mich stören würde (ganz im Gegenteil), aber es ist ein gewaltiger Wechsel im Lebensrhythmus, wenn man nach mehreren Wochen mit nichts als einschneidenden Veränderungen plötzlich seine Tage mit ordinärer, kleinteiliger Büroarbeit zubringt.

Der Umzug unserer Büroräume ist noch immer nicht erledigt, was langsam einigermaßen nervig ist.  In meinem alten Büro war ich umgeben von viel zu viel Möbeln, was nur anfänglich ein bisschen irritierend war. Regale mit Ordnern, selbst wenn es die von ehemaligen Kollegen sind, die einfach nur noch Staub fangen, geben einem Büro eben ein Stück Identität, ohne die es einfach nur ein leerer Raum ist. Eben den habe ich jetzt. Was erschwerend hinzukommt: Das alte Büro lag am Ende des Flurs zwischen Klo, Druckerraum und Feuertreppe, und manchmal habe ich stundenlang keine Menschenseele gesehen. Die Flure an der ITU haben Lampen mit Bewegungsmeldern, so dass diese Einsamkeit geradezu greifbar war, wenn nur einmal alle paar Stunden das Licht anging ... Das neue Büro ist hingegen das erste im Gang und, als wäre das nicht schlimm genug, ein vollverglastes Aquarium. Von meinem Schreibtisch aus sehen mich die Kollegen vom anderen Gebäudeflügel von links, meine eigenen Kollegen im Institut von rechts aus dem Flur, und von links vorne kann mich jeder sehen, der auf unserem Stockwerk aus dem Fahrstuhl steigt. Und damit auf dem fünften Stock das Panopticon-Gefühl selbst für diejenigen allgegenwärtig bleibt, die in diesen Bedingungen den Anstand haben, zum Nasebohren aufs Klo zu gehen, hängt dort ein wandfüllender Spiegel. Beim ersten Mal habe ich noch gedacht, dass der Innenarchitekt sein Design vom Swingerclub an der Ecke wiederverwendet hat, aber für den Eindruck allgegenwärtiger Beobachtung ist so ein Spiegel natürlich ein unerlässliches Accessoire. Weil man sich darin ja ständig selbst sieht, entsteht unweigerlich der Eindruck, gesehen zu werden, und unterschwellig schleicht sich der nagende Gedanke ein, dass dahinter bequem ein paar Kameras unterzubringen wären. Ja, ich habe erst vor kurzem wieder 1984 gelesen, und ja, ich wollte die Tage noch zu Lidl, aber trotzdem ist der Wechsel aus der Unsichtbarkeit auf den Präsentierteller etwas zu abrupt. Wenigstens bin ich mir mit meinem Büropartner Rune einig: wir brauchen Poster für unsere Glaswand! Viele Poster!

Wo wir schon bei Büropolitik im weitesten Sinn sind: Morgen werde ich mal sehen, wo ich in der Hackordnung unseres Vereins stehe. Dienstag und Mittwoch habe ich ja zu weiten Teilen damit verbracht, unser Spielelabor für den Umzug vorzubereiten. Erst als ich schließlich vor den fünfunddreißig vollen Umzugskartons gestanden habe, ist mir klar geworden, warum das so lange dauern musste. Mittwochs abends habe ich dann auch noch eine Stunde damit verbracht, die Einrichtung des neuen Raums zu planen und ihn dafür auszumessen. Weil die Kollegen von der Hausverwaltung zu dem Zeitpunkt längst Feierabend hatten, konnte ich mir von niemandem einen Zollstock oder ein Bandmaß schnorren. Dafür kann ich jetzt mit Gewissheit berichten, dass man auch mit dem Wissen, dass ein DIN-A4-Blatt 30 Zentimeter lang ist, einen Büroraum vermessen kann.

Nachdem ich am Donnerstag dann statt meines mühevoll erstellten Einrichtungsplans - das Rot ist selbstverständlich Herzblut - ein wahlloses Durcheinander in dem neuen Raum vorgefunden habe, ist meine Motivation, mich am Wiederaufbau zu beteiligen, schlagartig geschwunden. Deshalb werde ich dann in der neuen Woche wohl eine Kraftprobe machen müssen und sehen, ob ich die Doktoranden dazu bringen kann, dass sie sich um alles Nötige kümmern. Da wir noch auf neue Möbel warten - im Moment haben wir in zehn Büroräumen schätzungsweise zusammen sechs Regale - kann ohnehin niemand sein eigenes Büro einräumen. Insofern dürften sich mögliche Ausreden recht schnell erschöpfen - vor allem, weil die Deadlines für die großen Konferenzen FDG und DiGRA jetzt abgelaufen sind und in den nächsten Wochen nichts als Alltag auf dem Programm steht.

Wenn die anderen sich um diese Aufgabe kümmern, kann ich mich vielleicht auch wieder in die Waschküche wagen (deren Analog-Terminplaner mich mit seiner Kruppstahl-Benutzeroberfläche noch immer einschüchtert). Oder die Zeit finden, Staub zu wischen und zu saugen. Meiner Personalabteilung auf den Zahn zu fühlen, ob ich zum fünfzehnten vielleicht mal mein Februar-Gehalt bekomme. Ausnahmsweise mal termingerecht die drei noch zu überarbeitenden Aufsätze für Publikationen fertigstellen.

Ach, es lebe der Studenten-/Junggesellen-/Stohwitweralltag! It's all fun and games ;-)

Mittwoch, 6. März 2013

Technik (bis) zum Abwinken

Nachdem ich am Wochenende für einen Blitzbesuch zuhause war, bin ich gestern in das Chaos einer umziehenden Universität zurückgekehrt. Die große Rochade, die ich vor zwei Wochen schon einmal erwähnt, hatte, ist jetzt tatsächlich angelaufen. Unsere und eine weitere Forschergruppe ziehen aus dem dritten und vierten Stock in den fünften, die bislang ausgelagerten Verwaltungskräfte ebenfalls, und die freigewordenen Büros bei uns im Gebäude werden auch sofort wieder besetzt. Es ist klar, dass so etwas nicht ohne kleinere oder größere Probleme abgehen kann. Trotzdem ist es frustrierend, in ein neues Büro zu kommen, in dem nur ein Schreibtischstuhl und zwei Umzugskartons stehen - wohlgemerkt nachdem die offizielle Parole war, keine Möbel für den Umzug zu markieren. Im Laufe des Tages haben wir dann immerhin noch ein paar Schreibtische bekommen, aber bis an ein vernünftiges Arbeiten zu denken ist, wird sicher noch eine gute Woche vergehen.

Dementsprechend habe ich mich dann auch um die noch ausstehenden Umzugsarbeiten gekümmert, denn auch unser schönes Spielelabor wird verlegt. Gestern haben wir drei Stunden lang Kisten gepackt und nur deshalb aufgehört, weil uns die Verpackungsmaterialien ausgegangen sind. Es muss ewig her sein, dass jemand in dem Raum aufgeräumt oder gar inventarisiert hat. Wir haben eine wirklich schöne Kollektion von Spielen für alle möglichen Plattformen, viele Brett- und Rollenspiele, sogar kistenweise Spielzeug, und vieles davon steht eigentlich nur im Weg. Deshalb werden wir einiges davon im Keller der Uni einlagern - allerdings nichts, von dem wir auch nur im entferntesten annehmen, dass es noch einmal gebraucht würde. Soweit die Logik.

In dem Moment, wo zwei Computerspielforscher eine Kiste öffnen, in der sich nicht nur ein roter Ur-Gameboy, sondern auch noch ein goldener Gameboy Advance finden, ist spontan Nerd-Weihnachten im März angesagt. Für welche Zwecke auch immer haben wir fast alles in mehrfacher Ausführung, sogar die aktuellen Spielkonsolen, und kaum jemand aus unserer Forschergruppe - ein paar klar denkende Informatiker vielleicht ausgenommen - brächte es übers Herz, einen Amiga 500 oder einen Sega MegaDrive in den Keller zu schicken. Vieles von dem, was mir gestern durch die Hände gegangen ist, gehört eigentlich in ein Museum. Oder, wie wir jetzt beschlossen haben, in die Büros der Mitarbeiter und Doktoranden - auf jeden Fall nicht in die Abstellkammer. Da können die Plastikdinos und Hanna-Montana-Kartenspiele hin ...

Heute mache ich mit dieser Sysiphusarbeit weiter. Auch wenn die Dinge, um die es geht, den eigentlichen Arbeitsaufwand ein bisschen versüßen, ist der Vorgang insgesamt doch recht kompliziert. Wir wollen mindestens zwei der großen Stahlschränke, in denen die Hard- und Software bis jetzt gelagert war, nicht im Spiellabor stehen haben, sondern in Büros, die dafür mehr Raum bieten. Also stellt sich die Frage, was sich sinnvoll auslagern lässt und was nicht. Aber das werde ich erst so richtig überblicken können, wenn ich mit dem Ausräumen fertig bin und noch einmal den neuen Raum in Augenschein genommen habe. Morgen kommen die Möbelpacker, und bis dahin muss das alles geregelt sein. Mal sehen, ob ich das heute Nachmittag auf die Reihe kriege. Es geht ja auch nicht nur ums eigentliche Inventar. Wir haben ja auch noch die wiederablösbaren Donkey Kong Wandaufkleber. Ohne die geht gar nichts. Da soll mal noch einer sagen, wir Akademiker würden uns immer nur mit abgehobenen Problemen beschäftigen!

Natürlich arbeite ich nicht nur ganz handfest mit Computerspielhistorie. Andere Maschinen stellen eine mindestens ebensogroße Herausforderung im dänischen Alltag dar. Anders gesagt: Ich glaube, ich habe eben unsere Waschküche kaputtgemacht. Wir haben diesen eigentlich recht schönen Waschraum mit zwei Waschmaschinen und einem großen Trockner, die alle an dem gleichen Münzeinwurf hängen. Und genau der hat eben den Geist aufgegeben - zum Glück erst, nachdem ich meine erste Ladung Wäsche schon in den Trockner gepackt und ihn angeworfen hatte. Falls der nächste Nutzer mehr Glück hat als ich und das Gerät wieder zum Laufen kriegt, haben wir wahrscheinlich ein leichtes Schaumproblem, weil ich schon meine zweite Ladung Wäsche fertig gepackt hatte, inklusive Waschmittel, als der Münzeinwurf den Dienst quittiert hat. Ich hätte ja eigentlich eine Notiz an die Maschine gehängt, aber da ich weiß, wer nach mir den Raum nutzt - ein knurriger Muffkopp, der konsequent so getan hat, als würde er kein Wort Englisch können -, kann ich mir das sparen. Mein Phrasenwörterbuch und Google Translate werden mir da auch keine große Hilfe sein. Am Freitag schaue ich mal wieder in den Raum rein. Oder auch nicht, falls sich der Schaum schon unter der Tür durchdrückt ...