Montag, 26. August 2013

Der Tag des Kaltgetränks

Als ich letztes Jahr in Chicago und Milwaukee war, hat mich die USA schon in so mancher Hinsicht überrascht, und Atlanta setzt diesen Trend definitiv fort.

Unser Kongresshotel ist in Midtown, das heißt ein Stück nördlich von der eigentlichen Innenstadt, und hier gibt es keine echte Infrastruktur. Riesige Bürogebäude, Theater und Hotels säumen die Hauptstraßen, aber dazwischen ist oft nichts - bestenfalls Parkplätze, meist aber eher brachliegende Grundstücke oder Bauruinen. Mit anderen Spielexperten hier unterwegs zu sein bedeutet, sich ständig laut darüber zu wundern, dass es sich anfühlt wie in Grand Theft Auto, nur mit weniger Schusswechseln. Die Stadt wirkt gleichzeitig unfertig und heruntergekommen, vollkommen planlos zusammengezimmert und nur im weitesten Sinne bewohnt.

Die vielleicht größte Nähe zu Deutschland ist, dass man hier gerne und viel Geld für Autos ausgibt. Es scheint ein Zeichen extremer Armut zu sein, keine verchromten 20-Zoll Alufelgen zu haben. Man muss dann schon ein bisschen raus in die Wohnbezirke fahren, um auch mal etwas rustikalere Kraftfahrzeuge zu entdecken, aber auch die gibt es. Die meisten älteren Autos sind aber in bestem (vielleicht zu gutem) Zustand, oder anders gesagt: 'Pimp my Ride' ist hier mit Sicherheit ein großer, großer Ankommer. Und von den Motorräder will ich gar nicht anfangen.

Wir haben heute viel von der Stadt gesehen, nachdem wir an unserem ersten Abend nur noch in einer Kneipe direkt gegenüber vom Hotel noch einen (oder zwei) Trinken waren. Der Laden, das Publik, war eine echte Überraschung: richtig gutes Essen, die üblichen Fernseher mit Sportkanälen an jeder Ecke, eine total nette Transgender-Bedienung, ein Dutzend Fass- und doppelt so viele Flaschenbiere, ganz zu Schweigen von den etwa fünfzig Sorten Schnäpsen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir da heute Abend wieder landen ... Man hat hier, wie wir auf unserer heutigen Tour durch die Stadt gesehen haben, aber ohnehin eine sehr entspannte Einstellung zu Alkohol. Wir haben den größten, mehrfach preisgekrönten Schnapsladen der Stadt gefunden, der locker doppelt so groß war wie ein durchschnittlicher europäischer Innenstadt-Supermarkt. Als ich achtzehn war, habe ich mal einen Sommer lang in der Spirituosen-Abteilung des größten Supermarkts in unserer Stadt als Aushilfe gejobbt, und ich dachte eigentlich immer, ich hätte schon viel gesehen, aber ich war heute ehrlich beeindruckt.

Weniger beeindruckend als furchteinflößend war unser Hauptprogrammpunkt. Unser Kollege Frans Mäyrä wollte zur World of Coca Cola, und da sonst niemand einen ernstgemeinten Vorschlag hatte, sind wir nach einem ausgezeichneten Brunch in einem speckigen Diner namens 'Babs' einmal quer durch die Stadt gelaufen, um uns vom größten Getränkeproduzenten der Welt indoktrinieren zu lassen. Es ist ein Erlebnis, muss ich sagen, wenn auch eher eins von der unangenehmen Sorte. Wer dort hinkommt und nicht schon ein bisschen konsumkritisch eingestellt ist, wird es danach hoffentlich sein, obwohl man sich da sicher auch täuschen kann. Man könnte anhand dieser Ausstellung wahrscheinlich eine buchlange Analyse der amerikanischen Kultur und des Verständnisses von Betriebswirtschaft schreiben.

Immerhin haben wir die Kronjuwelen sehen dürfen, oder zumindest ihr Versteck. Herzstück der Ausstellung ist tatsächlich der Tresor, in dem angeblich die geheime Rezeptur aufbewahrt wird. Der Fingerabruckleser sieht zwar ziemlich nach Hollywood-Deko aus, aber die drei analogen und das digitale Zahlenschloss wirken andererseits ziemlich echt, also vielleicht war wenigstens das nicht gelogen. Aber unsereins durchschaut so eine Gehirnwäsche natürlich locker. Darüber werden wir heute Abend bestimmt auch noch ausgiebig lachen - über ein paar großen Gläsern köstlicher Coca Cola, schätze ich.


Sonntag, 25. August 2013

Wo die Straßen mit Coca Cola gepflastert sind

Ja, ich vernachlässige dieses Blog sträflich. Ich gebe es offen zu. Und natürlich denke ich darüber nach, was damit passieren wird, wenn ich in etwas über einem Monat aus Dänemark zurück komme.

Wenn ich etwas über das Bloggen gelernt habe, dann, dass es ebensoviele gute Gründe gibt, nicht zu schreiben wie Gründe zu schreiben. Diesen Post schreibe ich beispielsweise noch schnell auf meinem Telefon, bevor ich mich ins nächste Flugzeug schwinge und nach Atlanta aufmache. Mal sehen, wie dort das WLAN ist - hoffentlich kann ich mich von dort mit ein paar Südstaaten-Impressionen melden!

Auf nach Georgia!

... oder vielmehr: Grüße aus Georgia! Da dieser Eintrag heute morgen irgendwie nicht hochgeladen werden konnte, kann ich mich jetzt schon gleich richtig aus den USA melden. Mein erster Eindruck: schaurig. Aber dazu die Tage mehr ...

Mittwoch, 7. August 2013

Blick zurück im Schweiß

Auch wenn ich schon über eine Woche aus Paris zurück bin, habe ich die Zeit dort noch nicht wirklich aufgearbeitet. Physisch, meine ich. Da die Pariser ihre Stadt ja pünktlich zum Generalferienbeginn verlassen wie die Tauben den Schlag, ist man dort in keinster Weise auf dem Umgang mit Hitze eingestellt. Pariser vier-Sterne-Hotels haben nicht unbedingt eine Klimaanlage – warum auch? Unis schon gar nicht. Dementsprechend sind wahrscheinlich sämtliche Kongressteilnehmer noch immer damit beschäftigt, ihren Wasserhaushalt nach einer Woche in der Sauna der Sorbonne zu regulieren. Alle Einheimischen haben uns versichert, dass das Wetter völlig untypisch wäre, eine Hitzewelle, wie man sie seit Jahren nicht gehabt hätte, aber solange wir mit dem Kongress in Paris waren, hatten wir über 35 Grad. So ein Hundstage-Erlebnis ist nichts, was man seinem schlimmsten Feind wünscht, aber es hat auch sein Gutes: Wenn meine Kopenhagener Kollegen gerade wieder über die unerträglich heißen 25 Grad bei kühler Brise jammern, kann ich still und weise vor mich hin lächeln.

Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich mich aber nach ein paar Tagen an die trockene Hitze gewöhnt. In der Sonne war es so wenig auszuhalten wie im Nahen Osten, und in den schwitzigen, fensterlosen Seminarräumen wurde es schnell so lauschig wie in Korea zur Regenzeit, doch es gab genügend schattige und trockene Eckchen, um zwischendrin etwas abzukühlen. Wenn man sich an einen ruhigeren Rhythmus gewöhnt und mindestens drei Liter trinkt, geht das dann auch. Und immerhin hatte ich, so ziemlich als einziger, ein Hotel mit Klimaanlage. Dadurch – und weil die übriggebliebenen Pariser größtenteils entspannter und freundlicher waren als die, die ich sonst im Frühjahr oder Herbst dort angetroffen habe – hat mir Paris im Hochsommer erstaunlich gut gefallen. Was aber auch an der Ecke lag, in der wir untergekommen sind: das 17. Arrondissement, direkt nördlich von Arc de Tripomphe und Champs Elysées, ist wahrscheinlich die normalste und netteste Ecke der Stadt, in der ich bis jetzt war. 
 Meine Befürchtungen bezüglich des Kongresses waren auch völlig unbegründet. Gut, die wissenschaftliche Qualität war sehr durchwachsen, aber das ist bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung wohl unvermeidlich (auch wenn ich da ein paar Ideen hätte ...). Von den etwa 1200 erwarteten Vortragenden ist wohl etwa ein Drittel nicht gekommen, was mehr Schwund war, als irgendwer erwartet hätte, doch wirklich traurig war keiner darüber, weil das Programm eigentlich viel zu voll war und wir auf diese Weise wenigstens manchmal Zeit für Diskussionen hatten. Das Problem war nur, dass sich die Ausfälle völlig unregelmäßig verteilt haben. Während manche Leutchen neunzig Minuten (und einen großen Hörsaal) für sich allein hatten, sind andere in kleinen Räumen zu fünft gewesen. Dazu könnte ich ein paar Geschichten erzählen ... aber nicht schriftlich, denn dafür war es dann doch oft zu extrem.    

Letztlich hat mich der Aufenthalt in Paris in zweifacher Hinsicht positiv überrascht: Zum einen haben wir Privates und Dienstliches gut unter einen Hut bekommen. Vor fünf Jahren haben wir schon einmal versucht, eine Tagung und einen Urlaub miteinander zu verschränken, und das hat damals nur bedingt funktioniert. Diesmal ließ sich das besser koordinieren, und wir haben z.B. einen richtig tollen Tag im Louvre verbracht. Zum anderen bin ich mittlerweile in unserem Fachverband ausgesprochen integriert. Noch letztes Jahr hatte ich das Gefühl, einer von den Kleinen zu sein, nicht wirklich dazu zu gehören, und schon am ersten Konferenztag ist mir der Eindruck ausgetrieben worden. Der erste Tag solcher Großkongresse ist normalerweise so organisiert, dass man sich vormittags anmeldet und dann im Laufe des Nachmittags die Veranstaltung eröffnet wird. Deshalb war ich schon um zehn vor Ort, weil ich bis zur Eröffnungsveranstaltung um drei noch ein bisschen in die Stadt wollte. Dann bin ich aber gleich in den ersten Kollegen hineingelaufen, den ich kannte, dann kamen zwei dazu, dann weitere drei, dann war da noch eine andere Gruppe, der ich Hallo sagen musste, und beim ersten (und einzigen) Versuch, mich abzuseilen, bin ich dann im Eingangsbereich gleich den nächsten Bekannten in die Arme gelaufen, und dann habe ich aufgegeben und bin geblieben – ohne es zu bereuen, denn es war wirklich nett, alle wiederzusehen. Diese Weltkongresse haben so ein bisschen was von Klassentreffen, und wenn man einmal im inneren Zirkel angekommen ist, kennt man gleich dreißig Leute recht gut, aber auch deren Vorgänger, Freunde und Partner. Und dann lernt man Leute mit ähnlichen Interessen kennen und trifft die wieder. Und auch die kennen wieder wen, den sie einem vorstellen, und der sich dann auch an einen erinnert ... So sehr ich virtuelle soziale Netzwerke hasse, weiß ich dieses persönliche Variante sehr zu schätzen. Und im Moment freue ich mich sogar darauf, diese Leute wiederzusehen.

Nur gut, dass ich das in drei Jahren wieder verdrängt haben werde.