Dienstag, 28. Oktober 2014

Unterschiedlich nah ans Wasser gebaut

Die Dänen waren schon immer eine stolze Seefahrernation. Man identifiziert sich heute noch gern mit den Wikingern, wenn auch mit einer leicht verbrämten Version, die eher auf Tourismus und Geschäfte aus war als auf Brandschatzen und Morden. Das hat zur Folge, dass man hier gern Bötchen fährt, und meine Nachbarschaft, das alte Fischerhafenareal, ist voll von kleinen und mittelgroßen Segelclubs. Mit den edlen Yachtclubs südlicher Gefilde scheinen die wenig zu tun zu haben; von außen wirken sie sehr rustikal und haben am ehesten Festzeltatmosphäre. Man trinkt hier gern mal ein Bier vorm Segeln, eins beim Segeln, und eins nach dem Segeln, nehme ich an. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden.


Interessant finde ich daran im Moment (auf eine zugegebenermaßen schadenfrohe Weise) hauptsächlich, welche Probleme mit Wasser eine Gesellschaft haben kann, obwohl sie daran und sozusagen darauf aufgebaut ist. Regenwasser überfordert hier beispielsweise recht schnell die Kanalisation. Nach den Regengüssen im August und September haben wochenlang Pumpen und Naßstaubsauger in unserer Waschküche residiert, eine kleine hydraulische Spezialeinheit, die täglich auf ihren Einsatz gewartet haben. Dass man zum Kellerauspumpen Feuerwehrschläuche verwenden kann, ist mir schon klar; trotzdem haben spätestens die mich ein bisschen unangenehmer berührt. Natürlich ist es immer schön trocken geblieben, während das Zeug im Weg herumstand. Ich frage mich, wo die Sachen jetzt untergebracht sind - hoffentlich nicht zu weit weg, denn dann steht uns sonst bestimmt demnächst eine Sturmflut ins Haus.

Wasser im Haus haben wir auch auf der Uni bisweilen, und zwar sozusagen hausgemacht. Vor einer Weile ist unser Brandmeldersystem überarbeitet worden, und seitdem hatten wir schon eine ganze Reihe von falschen Feueralarmen. Besonders schön war es, als letzte Woche völlig unprovoziert die Sprinkler im Atrium losgingen und dort Esstische und Sofaecken überflutet haben. Da so etwas immer ein Nachspiel hat, gibt es morgen einen angekündigten Feueralarm. Wir haben uns alle schon darauf verständigt, keine private Elektronik mit zur Uni zu bringen, falls es plötzlich im ganzen Gebäude zu regnen anfängt. Gelöschtes Kind scheut das Wasser, sozusagen.

Der Punkt, über den ich mich aber wirklich amüsiert habe, war dann der sozusagen umgekehrte. Der Geschirrspüler in unserer Kaffeeküche hat nämlich seit einer ganzen Weile schon den Dienst verweigert. Die Kollegen von der Haustechnik haben sich das auch ein paar Mal angesehen und uns immer versichert - in sehr freundlichen Worten - dass wir eben ungeschickte, lebensunfähige Akademiker wären und das Gerät einfach nicht richtig bedienen würden. Heute war dann wieder einer von den Haustechnikern da, und ich habe mir erlaubt, einfach mal neben ihm stehen zu bleiben und zuzuschauen, wie er mit der Reparatur vorgeht. Irgendwann ist ihm dann auch aufgefallen, dass an dem Gerät die Wasserzufuhr-Leuchte geblinkt hat. Natürlich war die Lösung ganz einfach, bis das Abspülen des Ablauf-Siebs nicht gebracht hat, und der Kollege etwas stiller wurde. In der nächsten Stunde ist er dann noch ein halbes Dutzend mal an meinem Büro vorbeigetigert, mal in die Bedienungsanleitung vertieft, mal aufgeregt telefonierend, dann mit einem großen Werkzeuggürtel ...

Es sieht aus, als wäre jetzt wieder alles im Lot mit zu viel oder zu wenig Wasser im Büro. Wenn die furchtlosen Seefahrer damals genauso mit Wasser umgegangen wären, hätten sie aber wahrscheinlich eher Schwimmwesten als Kettenhemden getragen. Die Zeiten ändern sich eben.

Freitag, 24. Oktober 2014

Die Herrschaft der Maschinen

Selbst unter den geschätzten Lesern dieses Blogs gibt es sicher noch immer einige, die sich wundern, was man alles an Universitäten studieren kann. Heute Nachmittag habe ich all diejenigen denken müssen, die Comics und Computerspiele noch immer exotisch finden, denn wir hatten zwei außergewöhnliche Vorträge im Haus - außergewöhnlich selbst nach unseren hier schon recht ungewöhnlichen Maßstäben.

Eine Neuseeländische Kollegin hat uns heute die Forschung des Auckland Institute of Technology in Sachen "E-Textiles" vorgestellt. Ich dachte, ich wüsste halbwegs, was sich dahinter verbirgt, und in gewissem Sinn hatte ich auch recht: eine der im Moment lukrativsten Anwendungen dieser Forschung sind die sogenannten "wearables", also Dinge wie Samsungs Gear "Armbanduhr", die eigentlich am Körper getragene Computer sind - nur eben mit dem Unterschied, dass die Technologie nicht in einem Schmuckstück oder Accessoire steckt, sondern gleich in der Kleidung selbst. Die Logik dahinter ist natürlich bestchend einfach: "Wir vergessen vielleicht mal, unsere Uhr anzuziehen, aber wir gehen eigentlich nie nackt aus dem Haus." Bis jetzt sind zwar viele Anwendungen noch eher effekthascherisch oder künstlerisch, je nachdem, wie man sie sehen will, aber auch da passieren sehr interessante Dinge. Ein je nach Bewegung in unterschiedlichen Farben leuchtender Handschuh mit langen, bunten Tentakeln ist jedenfalls ein wirklich interessantes Stück Ausstattung für ein Ballett. Vor allem ist bei so etwas natürlich die Frage spannend, ob wir das nun als Kleidung wahrnehmen, als Werkzeug, als Spielzeug, als Marionette - das war die Interpretation der Kollegin - oder als etwas ganz anderes.


Wirklich überrascht hat mich allerdings, das diese neuen Wundertextilien nicht gewebt werden oder so, sondern gestrickt. Seit zehn, fünfzehn Jahren gibt es wohl voll programmierbare Strickmaschinen, die in 3D arbeiten, vage nach dem Prinzip des Sockenstrickens, also mit mehreren Nadeln gleichzeitig. Nicht nur hat man also ein computergesteuertes Werkzeug, mit dem man auch die ungewöhnlichsten Formen erzeugen kann, Strick hat auch andere Vorteile. Da diese modernen, mit Elektronik verbundenen Stoffe oft aus mehreren Lagen bestehen müssen - allein schon, um stromführende Teile zu isolieren und zu schützen -, ist Stricken insofern ideal, als es da ja mit Mustern ganz einfach ist, verschiedene Ebenen anzulegen. Damit kann man theoretisch die verrücktesten Kombinationen von Werkstoffen herstellen, zum Beispiel Wollstrümpfe mit thermoplastischen Fäden. Das heißt, man kann Stützstrümpfe stricken, die sich ganz leicht anziehen lassen und erst durch Körperwärme eng und damit stützend werden. Das einzige Problem daran ist der Preis, weil das Zeug für Klinikbedarf viel zu teuer ist und es keinen Vertrieb an Privatleute gibt. Aber das wird sich bestimmt bald ändern.

Danach gab es dann noch eine öffentliche Vorlesung zum Thema "Wie lange es noch dauert, bis Maschinen die Welt beherrschen." Das war zwar alles andere als ernst gemeint, macht einen aber trotzdem unruhig, wenn das von Robotik-Experten kommt, die dabei ein schelmisches Glitzern in den Augen haben, und wenn man gerade vorher erfahren hat, wie nahe wir schon an Kleidung sind, die von Kopf bis Fuß computerisiert ist. Wenn die Maschinen also eines Tages die Herrschaft übernehmen, haben sie nicht nur die Hosen an - sie sind die Hosen!

Sonntag, 19. Oktober 2014

Menschen im Hotel

Die allerbeste Tourismus-Saison geht zwar langsam zu Ende, aber für den Fall, dass jemand in der Vorweihnachtszeit, über die Feiertage oder auch irgendwann später das schöne Kopenhagen besuchen will, wollte ich einmal kurz meine Hotelerfahrungen in der Stadt teilen. Einer der Vorteile meines Hin und Her im letzten Jahr ist, dass ich tatsächlich Hotels in der Stadt kenne, in der ich lebe - das kann nicht jeder sagen. Drei davon würde ich durchaus empfehlen, wenn auch, natürlich, unterschiedlich nachdrücklich und aus verschiedenen Gründen. Sie liegen etwas über die Stadt verteilt, aber jede Location hat auch ihre Vorteile.

Mein Lieblingshotel in der Stadt ist das Bella Sky Kongresshotel. "In" der Stadt ist dabei vielleicht etwas irreführend, da es im direkten Vergleich zu den beiden anderen recht weit draußen liegt. Dafür hat es eine Metrostation direkt vor der Tür und ist keine Viertelstunde mit der Bahn vom Flughafen weg. Es ist erst vor drei Jahren eröffnet worden, das größte Hotel Skandinaviens (mit über 800 Betten in zwei 23stöckigen Türmen) und dementsprechend so etwas wie das platonische Ideal des nordischen Design-Hotels. Das Frühstücksbuffet ist gut, der Frühstücksraum ein bisschen arg IKEA-rustikal, aber die übrigen Restaurants sind dafür gleich ziemlich fein.

Für den Fall, dass das Wetter total übel sein sollte, gibt es einen großen Spa- und Fitness-Bereich, und mit der 'Bella Donna' Etage sogar ein Stockwerk exklusiv für Damen - was auch immer das heißen mag. Und wo wir gerade bei Shopping- und Wellnessurlaub sind: eine Metrostation weiter nördlich liegt Fields, skandinaviens größte Mall. Auch kein allzu schlechtes Notfallprogramm bei Schneeregen und Sturmböen. Die Zimmer sind kühl und nüchtern eingerichtet, aber eben sehr schick, von den Bädern ganz zu schweigen. Die sind nämlich zum restlichen Zimmer hin komplett verglast, so dass man hier wohl nur mit Menschen das Zimmer teilen wird, die man entweder schon vorher gut kennt oder mal so richtig nah kennenlernen wollte.


Nicht ganz so neu, aber fast genauso schick ist das Copenhagen Island. Die Zimmer sind echt nett, aber ein bisschen hellhörig, wie das ganze Gebäude etwas weniger robust wirkt als es vielleicht sollte. Die Lage ist, rein auf der Karte betrachtet, sehr viel innerstädtischer, aber auch wenn die direkte Umgebung recht nett ist - auch hier gibt es eine sehr ordentliche Mall mit Multiplex-Kino direkt nebenan, ansonsten sind da Banken und Versicherungen -, muss man schon eine ganze Weile zu Fuß laufen, um in die eigentliche Stadt zu kommen, und auch die nächste S-Bahn-Station ist nicht wirklich weit weg, aber auch nicht direkt vor der Tür. Ein Grund, dieses Hotel aber trotzdem zu besuchen, ist der Frühstücksraum bzw. das Restaurant. Direkt am Kanal gelegen, ist der Speisesaal ein einziger großer Wintergarten mit verschiedenen Ebenen, die es zu einem sehr luftigen und trotz des ganzen Glas' ruhigen Raum machen. Bei auch nur halbwegs gediegenem Wetter ist das ein extrem stilvoller Ort, um eine Mahlzeit zu sich zu nehmen.

Wenn es günstig und zentral sein soll, würde ich in Kopenhagen das CabInn City empfehlen. Im Vergleich zu den beiden 4-Sterne Hotels wirkt es natürlich wie eine Jugendherberge oder - so dass offizielle Hotelkonzept - wie eine Schiffskajüte, aber wer das Zimmer nur zum Schlafen braucht und wirklich mitten in der Stadt sein will, wird schwerlich ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis finden. Man kann da zwar wohl auch essen, aber das habe ich nicht ausprobiert; die Gemeinschaftsräume sind sehr rustikal, und der Verkauf von Speisen und Getränken ist Kiosk-mäßig organisiert. Dafür ist man aber nur fünf Gehminuten vom Bahnhof weg (wenn man den Südausgang findet) und kann in zehn Minuten am Rathausplatz und damit dem Eingang zur Altstadt sein.

Es gibt natürlich noch Dutzende andere Hotels, B&Bs und Hostels, und bestimmt sind da auch gute drunter. (Und zum Glück gibt es ja Tripadvisor und Holidaycheck, die einem das Reisen so viel einfacher machen). Ich wollte nur gesagt haben: hier lässt es sich auch als Besucher gut aushalten.

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Recording. Copenhagen Style


Musik machen bedeutet für verschiedene Leute ganz unterschiedliches. Vom Blatt Klavier spielen, auf dem Kamm blasen, die Auswirkungen von Handkäs und Bohnensuppe verströmen ... die Bandbreite ist erschreckend. Für mich gehören seit 25 Jahren unter dem Begriff drei Dinge zusammen: Instrumente spielen, Lieder schreiben, Musik aufnehmen. Wie an so vielen Dingen in meinem Lebenslauf ist daran wahrscheinlich niemand geringeres Schuld als der Commodore Amiga 500. Als einer der ersten echten Multimedia-Computer gab es darauf richtig gute und intuitive Musiksoftware wie Aegis' Sonix oder den NoiseTracker. In den späten 80ern war bei mir mit Instrumentenbeherrschung noch nicht viel her (und wer mit mir schonmal zusammengespielt hat weiß, dass sich daran bis heute nur wenig geändert hat). Musik am Computer zu schreiben war vergleichsweise einfach, und ich verstand plötzlich Konzepte wie Polyphonie und Rhythmus viel besser, als sie mir meine Musiklehrer je hatten vermitteln können.


Als ich irgendwann zu PCs gewechselt bin, hatte sich dort die Musiksoftware schon kräftig weiterentwickelt, aber zum Teil auch in die gleiche Richtung. Mit dem ScreamTracker beispielsweise bin ich sehr schnell warm geworden, und bei Jeff Lims großartigem ImpulseTracker habe ich sogar irgendwann direkt beim Programmierer die Vollversion gekauft, was Ende der 90er hieß, auf der Bank australische Dollar einzutauschen und in einem gut versiegelten Umschlag per Post einmal um die Welt zu schicken. Mit 'richtiger' Musiksoftware konnte ich damals noch nichts anfangen, weil Sequencer eine andere Denke haben als Tracker und sich an der Logik von physischen Studios orientieren - wovon ich zu dem Zeitpunkt nicht den geringsten Schimmer hatte. 

Das hat sich geändert, als ich 1992 One Year and a Half in the Life of Metallica gesehen habe - zum ersten Mal gesehen habe, sollte ich sagen. Den ersten Teil über die Aufnahmen des Black Album habe ich mir mindestens ein Dutzend Mal angeschaut, und in der Folge bin ich auf alles aufgesprungen, was mit Tonstudios zu tun hatte. In den nächsten Jahren hatte ich dann meine ersten Bands, ich habe regelmäßig Radio gemacht, und unvermeidlich bin ich auch in dem ein oder anderen Studio gelandet. Interessanterweise habe ich aber nie mit einer eigenen Band in einem Studio aufgenommen, sondern habe als Tontechniker oder Backgroundsänger bei anderen ausgeholfen. Und das war sehr lehrreich, weil ich schnell verstanden habe, dass in den meisten Studios nicht gute Aufnahmemöglichkeiten verkauft werden, sondern der Prestigefaktor, in einem Studio aufgenommen zu haben. Die meisten Leute, die ich in dieser Umgebung getroffen habe, von den Inhabern über die Mischer bis hin zu den Musikern, waren aus Imagegründen dort, und das gleiche gilt für viel Equipment. Natürlich ist es beeindruckend, wenn die Hauptabhöre Lautsprecher mit einem größeren Volumen als meinem eigenen sind und so viel kosten wie ein Kleinwagen. Das macht die darüber aufgenommene Musik aber nicht notwendigerweise besser. Dazu braucht es Talent und Erfahrung, vor und hinter den Instrumenten. 

In den letzten fünfzehn Jahren habe ich bestimmt zweihundert eigene Songs und ein Dutzend Banddemos aufgenommen, und so langsam bin ich an dem Punkt angekommen, wo ich mit den Ergebnissen einigermaßen zufrieden bin. Im Moment verbringe ich viele Abende in Kopenhagen damit, unser aktuelles Banddemo zu mischen und meine Spuren darauf einzuspielen, was mittlerweile einfach eine Freude ist. Ich habe über die Jahre eine kleine Auswahl ordentlicher Mikrofone angeschafft, etwas semiprofessionelle Software und eine gute Soundkarte gekauft, und was damit alles möglich ist, hätte ich bei meinen ersten Aufnahmen nie gedacht. Auf meiner Couch sitzend in Dänemark die bisher aufgenommenen 28 Spuren auf einem Laptop mischen zu können, während meine Band zu Hause in Deutschland weitere Instrumente einspielt, die ich mir dann nach und nach auf meine winzig kleine Festplatte kopiere, wenn ich mal im Lande bin, das ist alles fast zu gut um wahr zu sein.

Denke ich manchmal wehmütig daran, wie es wäre, in einem "richtigen" Studio aufzunehmen? Nicht wirklich. Natürlich ist so etwas wie Dave Grohls Sound City Movie eine Inspiration, aber größtenteils wegen der talentierten Musiker und Sänger. Für diejenigen, die nicht hinter Youtubes deutscher Firewall sitzen oder eine VPN-Verbindung bedienen können, gibt es auch online phantastische Performances zu bewundern. Denn was wir da sehen ist wieder die Aura des exklusiven Aufnahmeraums, in dem man selbstverständlich toll Musik machen kann. Wenn mir jemand einen Nachmittag mit Corey Tailor, Aaron Lewis oder Maynard James Keenan vermittelt, mache ich mit den Herren aber auch eine Emmy-verdächtige Aufnahme. Musik wird vor dem Mikro gemacht, und zwar größtenteils im Kopf.

Sonntag, 12. Oktober 2014

Gib Gas, ich will fraß

Es gibt ein paar Dinge, die mich schon immer nervös gemacht haben. Okay, das ist es eine Untertreibung. Es gibt eine Menge Dinge, dich mich schon immer nervös gemacht haben, und ich bin über vieles hinweg gekommen. Rasenmäher sind so eine Sache: eine Maschine, die nichts weiter tut als Messerklingen mit hoher Geschwindigkeit zu bewegen. Selbst ein elektrisches Filettiermesser ist vertrauenerweckender, weil ich da wenigstens zu jedem Zeitpunkt sehe, wo die Klinge ist. Mit Brecht gesprochen ist das elektrische Messer der Haifisch und der Rasenmäher Mackie Messer. Er trägt seine Zähne eben nicht im Gesicht.

Bis vor kurzem gehörten Gasherde in die gleiche Kategorie. Um das vorweg klarzustellen: nicht jede Form von offenem Feuer macht mich nervös. Ich kann sehr gut umgehen mit Lagerfeuern, Kaminfeuern, und generell mit Feuer, das da bleibt, wo es hingehört. Christbäume mit Wachskerzen gehören gehören meiner Meinung nach verboten, aber das mag auch daran liegen, dass ich mal das Wohnzimmer eines meiner Brüder mit einer Wunderkerze in Brand gesteckt habe. Deshalb ist auch eine meiner lebhaftesten Erinnerungen am die Siebziger der Geruch von schmorendem Flocati. Von Gasherden hingegen wusste ich bis jetzt immer nur vom Hörensagen, was sie alles anstellen können. Jetzt habe ich selbst einen, und bis jetzt verstehen wir uns noch ausgezeichnet.

Ein Grund dafür ist sicher, dass der emaillierte Küchenhelfer ein gehöriges Maß an Zurückhaltung für seine Aufgabe an den Tag legt. Es braucht mindestens drei Versuche, bis er eine stabile Flamme produziert, so dass es etwas von einem Spiel hat, ihn zum Laufen zu bringen. (Und nur fürs Protokoll: falls mich das Zündproblem beunruhigen sollte, behaltet Ihr das bitte für Euch). Wenn ich schon Probleme habe, dem Ding einen Hauch von Feuer zu entlocken, gehe ich mal davon aus, dass es sich nicht spontan selbst entzündet. Und seitdem ich dem Herd halbwegs vertraue, habe ich mir tatsächlich angewöhnt, mir wenigstens jeden zweiten Tag abends eine warme Mahlzeit zu kochen.

An Arbeitstagen gibt es einen Salat zum Mittagessen in der Mensa – nicht weil ich auf meine alten Tage denke, mich gesund ernähren zu müssen, sondern weil a) Salat nichts ist, was ich mir selbst mache, und weil b) in unserer Mensa alles gewogen wird und die Köche dementsprechend viel mit Kartoffelpüree, Soße, gewässerten Pilzen oder Spargel arbeiten. Nachdem ich es ein- oder zweimal probiert habe, bin ich tatsächlich auf den Geschmack gekommen, und jetzt gibt es eigentlich jeden Tag einen hochvollen Teller mit Grünzeug und wild vom Buffet zusammengestoppelten Beilagen zu Mittag. Und abends kann ich mich dann guten Gewissens orgiastisch in Gemüse, Omelette und Kartoffeln ergehen. Meine kulinarische Palette ist noch ziemlich beschränkt, wie man sieht, aber ich muss natürlich sehen, wie ich mir Singleportionen koche, ohne dass ständig irgendwas übrig bleibt, was dann heißt, dass ich drei Tage die Woche mit den gleichen Zutaten verschiedene Gerichte improvisiere. Bis jetzt habe ich noch ausschließlich essbares produziert, und wenn ich das weiterhin schaffe, bin ich eigentlich ganz zufrieden.





Mittwoch, 8. Oktober 2014

Halten Haushälter Häuser?

Ich wundere mich seit einer Weile über etwas.

Zehn Wochen bin ich nun zurück in Kopenhagen, in einer Wohnung, die ich sehr mag. Letztes Jahr habe ich über mein furchtbares Zimmer, die lauten Nachbarn und meinen anstrengenden Mitbewohner und seine Tochter ausführlich, oft und vor allem früh geschrieben, und die Situation auch ausführlich bebildert. Warum mache ich das also nicht für meine neue, schöne Wohnung? 

Der sozusagen augenscheinliche Grund ist, dass ich seit zwei Wochen habe ich meine gute Kamera an der Uni hatte, weil mein Bürokollege Sebastian Fotos von seinem Forschungsprojekt machen will, das Projekt aber nicht so recht fertig wird. Seitdem habe ich mir eingeredet, ich würde keine schlechten Bilder posten wollen, ich wäre ein fotografischer Perfektionist, ich hätte schließlich keine semiprofessionelle Kamera, damit ich mit den Handy rumknipsen muss. 

Auch wenn da sicher etwas dran ist, habe ich eben begriffen, dass es vielmehr eine Frage des Gegenstands als der Bilder ist. Bei meinem Zimmerchen letztes Jahr konnte ich jammern und auf Mitleid hoffen, denn es war eine insgesamt unerfreuliche Wohnsituation mit vielen fleißigen Teufeln im Detail. Dieses Mal habe ich niemanden, hinter dem ich mich verstecken könnte. Klar habe ich die Wohnung in einem alles andere als renovierten Zustand übernommen, aber obwohl ich jetzt wochenlang Möbel hier hereingeschleppt und mich in gewisser Weise häuslich eingerichtet habe, ist vieles noch im Argen. Manches wird wohl so bleiben und hat auch einen gewissen Charme - die halbfertige Wohnzimmertür beispielsweise.


Über die gähnenden Dübel-Löcher, die meine Vormieter hinterlassen hat, habe ich großzügig Poster gehängt, wo es ging, aber es sind noch immer einige übrig. Mein Schlafzimmer ist noch völlig kahl, weil ich nicht weiß, womit ich auch nur dekorieren sollte. Und mein Esstisch, den mir meine Vermieterin überlässt, hat ein fettes Loch auf der Oberseite, das ich gerne irgendwie kaschieren würde, aber bei dem ich ebenso wie bei den Löchern in der Wand an die Grenzen meines Dänisch stoße. Baumärkte hier in der Stadt sind von der ganz altmodischen Sorte, mit einem freundlichen älteren Herrn hinter einer Theke, viel Metallbeschlägen und den unvermeidlichen Kopenhagener Stuckrosetten zum Mitnehmen, aber so etwas wie Mörtel habe ich noch nicht identifizieren können. Ich habe schon darüber nachgedacht, mir etwas Spachtelmasse in eine Klarsichttüte zu füllen und mitzunehmen, aber die Vorstellung, dem Sicherheitsbeamten am Flughafen die Natur des blässlich braunen Pulvers zu erklären, hat mich von der Idee schnell wieder geheilt.

Kurz: ich habe mich tatsächlich ein bisschen gefürchtet, dass Ihr zu Hause mich auslacht wegen meiner komischen Studentenbude – bis ich begriffen habe, dass Ihr das sowieso tun werdet. Also, hier ist sie, meine (nicht mehr so ganz) neue Wohnung.


Von der Küche, dem Raum, den man nach dem Hereinkommen als ersten sieht, habe ich kein netteres Bild als dieses, direkt nach der Wohnungsübernahme gemachte. Spätestens in voller Größe kann man sicher den dreckigen Boden sehen, der mich nie zuvor empfundene Sehnsucht nach einem Schrubber hat fühlen lassen, aber darüber habe ich mich ja schon genügend ausgelassen. In sauber und mit Lebensmitteln bestückt ist es aber ein wirklich gemütlicher Raum, in dem sich gut arbeiten lässt. Über meine regelmäßige erfolgreiche Kooperation mit meinem Herd werde ich demnächst noch ausführlich berichten. Gerade in einer Küche merkt man schnell, wie viel Platz wir modernen Luxusmenschen doch brauchen. Anfangs dachte ich, dass ich wahrscheinlich nicht die Hälfte der Schränke füllen könnte, und mittlerweile sind eigentlich alle genutzt – und sei es nur für Mülltrennung und Pfandlagerung.

Wohnzimmer und Schlafzimmer sind zusammenhängend und haben auch keine Tür zum Flur, oder besser gesagt nur eine Tür in zwei Türöffnungen. Das macht offen und luftig, und ich muss mal den kommenden Herbst und Winter abwarten, um herauszufinden, ob ich das gut finde. Ich halte schon länger Ausschau nach richtig schweren Vorhängen – Modell Windfang an Kneipentür – um dieses potentielle Energieausweisfiasko einzudämmen. Das Wohnzimmer hat einen wirklich schönen Ausblick auf den alten Fischereihafen, an dem sich die UN einen Büro- und Wohnkomplex hochziehen lässt. Dann haben die zwar die allerbeste Wohnlage und die Nachbarn unter mir fluchen sicher jetzt schon, aber von meinem hohen Ross betrachtet ist das alles halb so wild. Durch die Gebäude hindurch kann ich über das alte Hafenbecken bis rüber nach Schweden sehen – das ist schon nicht schlecht.

Das Schlafzimmer ist, wie gesagt, noch sehr kahl und eigentlich ausschließlich zweckmäßig eingerichtet. Mit dem riesigen Doppelbett, dass ich von meiner Vermieterin bekommen habe, ist allerdings in Sachen Möbeln nicht so wahnsinnig viel Spielraum (im wahrsten Sinne des Wortes). Mir reicht es absolut, so wie es ist, auch wenn natürlich irgendwann ein paar Bilder an die Wände müssen. Im Moment gibt es sowieso nur zwei Fälle: entweder habe ich durchs Fenster eine total gemütliche Spätnachmittagssonne, oder es ist ohnehin dunkel und man sieht nicht viel vom Raum an sich. Und beim Schlafen mache ich noch immer meistens die Augen zu.

Das Bad schließlich ist die übliche Kopenhagener Katastrophe, aber daran gewöhnt man sich wirklich schnell. Klein, kuschelig und irgendwie praktisch, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat. Nur fünf Minuten Zeit für durchs Bad? Kein Problem, hier kann man wirklich alles gleichzeitig machen, die nötige Gelenkigkeit vorausgesetzt. Abgesehen davon, dass ins Waschbecken bestenfalls ein paar Kinderhände passen. Und man muss ein bisschen experimentieren, um die eine trockene Ecke im Raum zu finden und dort Handtücher und so aufzuhängen. Aber sonst gibt es nichts auszusetzen an dem Raum, wenn man jung, schlank und abgehärtet ist. Wenn ihr mich also besuchen wollt, wisst ihr, was euch erwartet ... 



Dienstag, 7. Oktober 2014

Im Land der Blinden

Diese Woche war ich schon wieder auf Stippvisite in Deutschland, und zwar diesmal im schönen Marburg. Ich habe lange mit mir gerungen, ob um das "schön" Anführungszeichen gehören und mich mit mir darauf geeinigt, dass ich sie weglasse, um sie im nächsten Satz zu setzen.

Das offizielle Wikipedia-Foto der Kirche
Marburg ist eine der zwiespältigsten Städte, die ich – zumindest in Deutschland – kenne. Mit rund 70.000 Einwohnern nicht gerade klein, wirkt sie trotzdem von der Bahn kommend fast schon winzig und ausgesprochen provinziell. (Und bevor jetzt irgendein zufälliger Internetpassant mich für gemein oder respektlos hält: das sind für mich keineswegs negative Attribute). Und ein bisschen heruntergekommen. (Okay, das ist negativ). Nach einer Stunde in der Stadt merkt man aber, dass hier, wie so oft, einfach das Bahnhofsviertel einen denkbar schlechten ersten Eindruck vermittelt. Man muss durch (und manchmal über oder unter) typisch deutsche Bau- und Städteplanungssünden wie eine an der Lahn entlanglaufende Landstraße auf zwei Ebenen und eine Niedrigpreis-Einkaufsstraße mit Shopping-Highlights wie Woolworth's und NKD. Ist man erst einmal an der Elisabethkirche vorbei – die ich tatsächlich ganz richtig als frühgotisch erkannt habe, was meine Kunstlehrer mit Stolz erfüllen sollte – und nähert sich dem alten Stadtkern, wird es langsam besser.

Was nicht heißen soll, dass es dann nicht auch noch ganz schön große Kontraste gäbe. Ich bin im "Marburger Hof" untergekommen, allem Anschein nach einem der Traditionshäuser in der Stadt und auch ein wirklich schönes Hotel. Freitag Nachmittag bin ich für eine Pause gegen fünf auf dem Zimmer gewesen und hatte kurz zum Lüften das Fenster offen. Aufgestanden um es zu schließen bin ich es wegen des ohrenbetäubenden Motorenlärms, wegen dem ich dann auch glotzend stehengeblieben bin und den Carrera GT bestaunt habe, der sich ungeduldig durch die Unterstadt geschlichen hat. Als das Röhren einer Blech gewordenen halben Million Euro leiser wurde, konnte ich dann auch endlich das in die urbane Wüste passende Würgen des kotzenden Einheimischen unter meinem Fenster hören.

Nochmal Wikipedia - ich war zu faul zum Knippsen
Wie viele Städte, die vom Krieg weitgehend verschont geblieben sind, hat Marburg eben das Problem, dass die hässlichen Ecken, von den billigen Bauhaus-Epigonen bis zu den schlecht renovierten Einfamilienhäusern, vor einer Kulisse aus Fachwerk und Gotik einfach viel schlimmer aussehen als für sich allein genommen. Das umgekehrte stimmt natürlich genauso: wenn man von den Flachbauten der neuen Uni zu den ursprünglichen Gebäuden aus dem 16. Jahrhundert kommt, verschlägt es einem ziemlich den Atem. Von außen sieht es aus wie Hogwarts, von innen ein bisschen getäfelter und bemalter, aber deshalb nicht weniger altertümlich. Für alle Saarbrücker: die alte Aula in Marburg ist wie der Festsaal des Rathauses St. Johann, nur dreimal so groß und doppelt so hoch. „Tempel des Wissens“ ist für so einen Ort keine Übertreibung.

Das richtig Zwiespältige an der Stadt ist aber ein Detail, das in die Kategorie „wenn es einen Gott gibt, hat er einen Sinn für Zynismus“ gehört. Zwischen dem bunten Gebäudesalat und den amerikanischen Touristen in Dirndl und Lederhosen (ja, manchmal gleichzeitig) sieht man mehr Blinde als irgendwo sonst. Was einem zuerst noch als Zufall, dann als Einbildung und schließlich als (je nach Weltanschauung) böses Omen oder Fingerzeig Gottes erscheinen mag, resultiert einfach nur daraus, dass es in Marburg mit der Deutschen Blindenstudienanstalt hier die besten Bildungsmöglichkeiten für Menschen mit Sehbehinderung gibt. Man sollte das vorher aber wirklich wissen, denn sonst irritiert einen das schon, und man muss vielleicht als literarisch gebildeter Mensch die ganze Zeit an H.G. Wells denken.

Die Tagung, zu der ich in der Stadt war, fand ich persönlich einigermaßen durchwachsen was die fachliche Seite anging, aber ich war auch nicht so ganz das einschlägige Publikum und mag auch Pech gehabt haben was die Auswahl der Vorträge anging. Menschlich hingegen waren es ein paar großartige Tage, während der ich nicht nur ganz professionell „Kontakte gepflegt,“ sondern sogar neue Freunde gefunden habe. Und das passiert einem wirklich nicht so oft in meinem Alter ...

Und dabei hatte alles so vielversprechend übel angefangen. Nicht nur musste ich mich um 4 aus dem Bett schälen, um pünktlich für den frühen Flug nach Berlin zu sein, Kopenhagen hat mal wieder alle seine Greatest Hits aufgefahren, von den Mittfünfzigern, die am Bahnhof morgens um 5 zum Auftakt ihres Ausflugs schon einen Aquavit nach dem anderen zischen, bis hin zu den jungen und reichen, die sich eine Fahrt zum Oktoberfest organisieren lassen, identische Lederhosen inklusive.

Und dann wurde auch noch mein Flug annulliert, ohne Angaben von Gründen oder eine Entschuldigung. Okay, ich habe einen Verzehrgutschein bekommen, mit dem ich mit später einen ganzen Muffin und ein halbes Wasser kaufen konnte, und man hat mich auf den nächsten Flug gebucht, aber trotzdem habe ich ausgerechnet zwei der interessantesten Vorträge von zwei der nettesten Kolleginnen verpasst. Das hat mir für den Rest der Tagung dann zwar Gleichmut gegeben, aber wir sprechen uns noch, Air Berlin!