Freitag, 20. Februar 2015

Im Ernst?

Eines der Gesprächsthemen, auf das Ausländer in Dänemark immer wieder zurückkommen, ist der dänische Humor. Man ist hier stolz darauf, meistens über den Dingen zu stehen, locker drauf zu sein und über so ziemlich alles Witze machen zu können. Mohammed-Karikaturen sind da nur die Spitze des Eisbergs, und auch nach dem Anschlag vom Wochenende ist es fraglich, ob sich in der Hinsicht etwas ändern wird. Es versteht sich von selbst, dass da die Grenzen des guten Geschmacks und vor allem die Grenze zwischen Spaß und ernst oft nicht ganz eindeutig verlaufen – selbst für Einheimische. Wir Gastarbeiter sind deshalb manchmal ganz schön verunsichert, was denn hier ernstgemeint ist und was nicht.

Nehmen wir mal als Beispiel diese Skulptur. Ich will jetzt gar nicht ernsthaft spekulieren, was die Aussage dahinter ist, dass die Kleine Meerjungfrau Tentakel hat und aussieht, als hätte jemand ein unliebsames Plastikspielzeug liebevoll in der Mikrowelle Karussellfahren gelassen. Egal, wie man die Skulptur deutet, ist schon klar, dass sie ein Kommentar auf die 'echte' Meerjungfrau ist, die gerade mal einen Kilometer weit weg wohnt. Ja, es ist Kunst und dementsprechend etwas, dessen Vieldeutigkeit ich sowohl berufs- als auch überzeugungsmäßig bis zum letzten Atemzug verteidigen würde. Aber ein Teil von mir fragt sich dann doch, ob das ernstgemeint ist. Bei dem angrenzenden Skulpturenpark ist das etwas anderes, allein schon, weil die Elemente des Ensembles aufeinander Bezug nehmen. Da glaube ich schon, es mit etwas ernstgemeintem zu tun zu haben.

Die Tentakel-Meerjungfrau macht es mir da schwerer. Sicher hat dafür jemand Künstlerförderung gekriegt, und die Kosten für Material und Montage bewegen sich bestimmt in der Größenordnung eines Kleinwagens. Aber bestenfalls im Auktionshaus gilt 'Kunst ist das, was teuer ist' – und es ist ja auch gar nicht die Frage, ob es sich um Kunst handelt. Tut es, aber das gilt auch für viele Graffiti. Und genau wie diese scheint mir auch die Skulptur respektloser Spott zu sein; falls sie außerdem auch feingeistige Ironie oder andere 'ernste' Werte hat, verschließen sie sich mir. So auf den ersten Blick jedenfalls. Aber, und damit sind wir wieder am Anfang: wer weiß schon, wo da nach lokalen Geschmacksmaßstäben die Grenzen verlaufen? Bald sind hier wieder Wahlen, und ich freue mich schon wieder auf die Werbespots.

Andere Länder, andere (Un)Sitten. So ist das wohl. Und wer weiß schon, was überhaupt ernstgemeint ist. Bei Blogposts beispielsweise weiß ich das nie so recht. Schon gar nicht bei meinen eigenen.

Freitag, 13. Februar 2015

Kauft Deutsche Wertarbeit!

Ein beflaggter Hundehaufen
Nationalbewusste Nachbarschaftshilfe
Nein, ich bin nicht plötzlich nationalistisch geworden. Ich schmunzele kopfschüttelnd über PEGIDA und all ihre sonderbaren Trittbrettfahrer, und auch nach einer ganzen Weile in einem Land mit einer sehr lockeren Einstellung zum Flaggezeigen bin ich noch immer unangenehm berührt von Menschen, die Geschäfte, Privathäuser oder Buffets ohne tieferen Sinn mit ihren Nationalfarben dekorieren. (Oder eben Hundehaufen, um die Haustierfreunde an den Pranger des Nationalstolz zu stellen. Findet man hier wirklich an jeder Ecke).

Trotzdem habe ich mich kürzlich bei dem Gedanken ertappt, dass das mit deutscher Wertarbeit nicht passiert wäre, und hatte danach den unüberwindlichen Drang, etwas deutsches zu kaufen. Es war einer dieser Momente, in denen man sich gleichzeitig eine Kamera wünscht und von Herzen froh ist, dass einen doch keiner gefilmt hat. Als ich in meine neue Wohnung hier eingezogen bin, war eine der ersten Amtshandlungen natürlich, mir Putzzeug zuzulegen. Meinen Wischmop habe ich mir in einem kleinen Handwerker- und Haushaltswarenladen um die Ecke gekauft, für teurer Geld, als der billige Eindruck es mich hätte erwarten lassen. Aber über Preise wundere ich mir schon lange nicht mehr, und ein paar Monate lang hat mir das Zeug auch gute Dienste geleistet.

So lange eben, bis ich in jugendlichem Überschwang mit dem Mop den Putzeimer umwerfe und meinen Flur und das halbe Schlafzimmer flute. Mein enthusiastisches Putzen wird schlagartig hektisch, während ich sehe, wie schnell das Wasser in die  reiten Fugen meines Dielenbodens einzieht. Nachdem ich also Geschirrhandtücher und Lappen geistesgegenwärtig über das Krisengebiet verteilt habe, beginne ich, mit dem Mop so viel und schnell wie möglich Wasser zurück in den Eimer zu transportieren. Ich erwarte jeden Moment, dass mein Nachbar von untendrunter klopft und ich herausfinde, was die dänischen Worte für Wasserschaden und Haftpflichtversicherung sind, und vielleicht bin ich etwas ungestümer, als ich sein sollte.

In jedem Fall knirscht es irgendwann unangenehm, und in dem kurzen Moment, den ich kopfüber Richtung Putzeimer stürze, stelle ich mir vor, wie der Nachbar seine Beschwerde einem auf seinem abgebrochenen Schrubberstil aufgespießten Deutschen vorbringt. "War das Wasser noch nicht schlimm genug? Musst Du jetzt noch durch meine Decke bluten?" Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit habe ich den gebrochenen Mop entsorgt und dabei festgestellt, dass er noch nicht einmal aus Kunststoff war, sondern aus papierdünnem Blech mit einem dicken Überzug aus sprödem Gummi. Da hat jemand lange darüber nachgedacht, wie man etwas oberflächlich stabiles konstruieren kann, dass anfangs brauchbar wirkt und auf keinen Fall dauerhafter Beanspruchung standhält.

Nach dieser Erfahrung habe ich dann in einem größeren Baumarkt ganz gezielt nach dem Inbegriff deutscher Gründlichkeit und haltbarer Sauberkeitsgarantie gesucht und bin schließlich als glücklicher Besitzer eines Vileda-Produktes zurückgefahren und habe mit Genuss und ohne Gefahr für Leib und Leben geputzt. Manchmal ist eben nichts dagegen einzuwenden, sich auf Traditionen und Werte zu stützen. Oder auf eine robuste Stahlstange.

Montag, 9. Februar 2015

Ende der Schonzeit

Winterschlaf war schon immer ein Konzept, dass ich sehr sympathisch fand. Als Kind habe ich irgendwo, wahrscheinlich in einem Lustigen Taschenbuch, mit großer Faszination die folgende  Rechnung gelesen: Wenn wir Menschen Winterschlaf halten würden wie unsere höher entwickelten Cousins, die Bären, Igel und Eichhörnchen, wäre die Lebenserwartung so hoch, dass unser derzeitiges Staatsoberhaupt noch immer Karl der Große wäre. Das mag erstens leicht übertrieben und zweitens lang nicht so wünschenswert sein, wie es im ersten Moment klingt. Nachhaltig beeindruckt hat es mich trotzdem. Und seit ich ein bisschen näher am Polarkreis lebe als früher und zwischen November und Februar gute sechzehn Stunden pro Tag ohne Sonnenlicht auskommen muss, praktiziere ich so etwas ähnliches.

Ein paar meiner Kollegen haben klodeckelgroße Tageslichtleuchten in ihren Büros, die für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr aussehen, als stammten sie aus den Restbeständen eines Kreissaalausstatters (was, nebenbei bemerkt, ein preisverdächtig konsonantverdoppelndes Wort ist). Andere holen sich ihre Endorphine und Melanine aus Sport oder Schokolade, und wieder andere fahren sechs Wochen nach Hause in den Süden. Ich habe mir ein abwechslungsreiches Feierabendprogramm verordnet, bei dem Lesen, Musikmachen, Gymnastik und Fernsehen abwechseln. (Richtig! Hier kommt die Erklärung für meine diesmal obszön lange Blogpause).

So gern ich nämlich schreibe, habe ich davon in den Wintermonaten tagsüber meistens mehr als genug. So lästig manchmal das Unterrichten ist – selbst für jemanden, der es eigentlich sehr gern tut –, da es einem ganz schön die Woche zerreißt, bildet es doch für uns Dozenten einen nötigen menschlichen Gegenpol zur Arbeit im stillen Kämmerlein. Acht Stunden am Stück ungestört am Schreibtisch verbringen zu können, klingt während des Semesters immer traumhaft, und im Hochsommer kann es das auch sein. Im Winter heißt das aber, im Halbdunkel ins Büro zu kommen und in tiefster Nachtschwärze nach Hause zu gehen, ohne für mehr als eine karge Mittagsmahlzeit den Schreibtisch verlassen zu haben.

Nicht nur halten sich nach solchen Tagen mein innerer Antrieb und meine körperliche Kapazität zum Schreibtischsitzen in Grenzen, es passiert schlichtweg auch wenig, was sich für unverfängliche Blogplauderei anbieten würde. Und dann sind da noch E-Mails an einzelne, die ich gern und ausgiebig schreibe, die sich aber trotzdem gerade zum Jahreswechsel stapeln. Und – aber nicht weitererzählen, das ist ein Geheimnis – ich schreibe gar nicht mal so besonders schnell.Aber all das hat sich jetzt zum Semesterstart ein bisschen gewandelt. Wenn plötzlich wieder so viel Unterschiedliches anliegt, dass ich regelmäßig zehn Stunden auf der Arbeit verbringen muss, hat das den paradoxen Nebeneffekt, dass für sowas wie Blogposts plötzlich zwischendrin besser Zeit ist. Und, viel entscheidender, das anlaufende Tagesgeschäft bedeutet, dass es wieder viel mehr bizarre, alberne und damit für diesen Ort passende Geschichten zu erzählen gibt. Also, demnächst in diesem Theater: geschmolzene Meerjungfrauen, deutsche Wertarbeit, Tauschkultur, fortgeschrittene Metereologie und vieles andere mehr. Und immer mal wieder Fundstücke wie das hier, aus der Kategorie "was Spielstudenten so im Atrium der Uni hinterlassen." Wenigstens war es nicht in einem Hörsaal ...