Freitag, 13. März 2015

Sprache, Liebe, Hoffnung. Zum Tod Terry Pratchetts

Die Welt hat gestern mit Terry Pratchett einen ihrer großen Lehrer verloren.
 
Das mag jetzt klingen, als wollte ich ihn für mich oder meinen Berufsstand vereinnahmen, aber soll ich mir ernsthaft anmaßen, über ihn als Schriftsteller oder als Menschen zu schreiben? Wenn Neil Gaiman schon vor Monaten auf seinen Freund und Kollegen einen wundervollen Nachruf zu Lebzeiten geschrieben hat und literarische Schwergewichte wie Margaret Atwood ihre Hochachtung vor dem häufig unterschätzten Sprachkünstler ausdrücken? Wer sollte das lesen wollen, von mir?

Terry Pratchett war jemand, der sich genau diese Frage immer gestellt hat. Jedes seiner Bücher zeugt davon, dass da jemand sehr genau hingeschaut und unglaublich viel nachgedacht hat, und gleichzeitig weise und besonnen genug war, eben nicht in eine Tirade, Predigt oder Belehrung zu verfallen. Wie kein anderer hat er verstanden, dass er Menschen unterhalten muss, um sie zu erreichen, und dass man nie neugieriger und aufnahmefähiger ist als wenn man Spaß hat. Er hat mich immer wieder gleichzeitig zum Lachen und zum Nachdenken gebracht und mich in jedem Text aufs Neue daran erinnert, dass dies die wirkungsvollste Weise ist, um eine Idee zu transportieren. Und damit ist er für mich stets ein vorbildlicher Lehrer gewesen.

Ohne erhobenen Zeigefinger oder -stock hat er mit Sicherheit in mehr Zwölfjährigen eine Liebe zu oder doch zumindest eine Aufmerksamkeit für Sprache geweckt als Jahre von Schulunterricht und Anthologien voll großartiger, aber schwer zugänglicher Literatur. Jeden, der schreibt, weisen seine Texte auf die Notwendigkeit zu irre viel harter Arbeit hin, aber nicht in Form einer Ermahnung, sondern durch ihre Beispielhaftigkeit. Klar sind da oft Passagen, die wir so oder ganz ähnlich schon ein Dutzend Mal gelesen haben, doch in seinen besten Momenten – und von denen hatte er so viele – hat er Sätze konstruiert, die die die Grammatik und das Vokabular des Englischen bis weit über die Grenze dessen  hinausgeführt haben, was eigentlich machbar sein sollte. Diese unendliche Sensibilität für Sprache hat er mit einem Sinn für Humor verbunden, der die ganze Palette des Komischen abdeckt – was man, würde ich behaupten, durch die Menschheitsgeschichte hindurch nur ganz selten findet. Und noch dazu hat er sämtliche Register des literarischen beherrscht und mit Romanen wie The Fifth Elephant komische, politische Action-Thriller geschrieben, die uns aber nicht wegen ihrer perfekten Konstruktion im Gedächtnis bleiben, sondern wegen der Menschlichkeit ihrer Figuren, auch und gerade, wenn es sich bei ihnen eben nicht um Menschen handelt. Seine Verbindung aus Sprachgewalt, Humor, Scharfsinn und Ehrfurcht vor dem Menschlichen muss für seinen Schriftstellerkollegen eine vielleicht bittere, aber sehr lehrreiche Lektion darin gewesen sein, dass Vielschichtigkeit und Tiefe nicht das gleiche sind wie bitterer Ernst.

Was mir ungeheuren Trost gibt, ist das Bewusstsein – nicht die Hoffnung oder der Wunsch, sondern die absolute Gewissheit –, dass seit gestern überall auf der Welt Menschen jeden Alters wieder eines seiner Bücher in die Hand nehmen. Ob sie nur daran zurückdenken, wer es ihnen geschenkt hat, nostalgisch nach ihrer Lieblingsstelle zu blättern anfangen und dann doch irgendwann einen Stuhl vors Regal ziehen, oder gleich kapitulieren und es sich mit einer Tasse gemütlich machen – ganz gleich wie, er vereint uns zu einer bunten, weit verzweigten Familie, der man das wunderschöne Kompliment machen kann, dass sie gerne miteinander lacht. 

Meine Hoffnung ist, dass er in seinen letzten Wochen und Monaten noch in der Lage war, sich das bewusst zu machen. Denn selbst in der Art, wie er von uns gegangen ist, hat er uns noch eine Lektion mitgegeben. Ich spreche nicht so sehr davon, dass sein Beispiel hoffentlich die Debatte um selbstbestimmtes Sterben neu belebt, sondern vor allem von der Tatsache, dass wir ihm auf die ein oder andere Weise beim Sterben zuschauen mussten. Das Wissen um seine Krankheit ebenso wie seine letzten Bücher, die immer länger wurden, so als wollte er uns noch mehr mit auf den Weg geben oder einfach nicht loslassen, haben uns Zeit gegeben, um Abschied zu nehmen, uns mit der Realität abzufinden und nach vorne zu schauen. Und eben zu hoffen, dass er noch ganz bis zum Schluss wusste, dass er beim Tod einen mächtigen Stein im Brett haben muss.

(Diesen Nachruf haben auch meine wunderbaren Kolleginnen von Literatur & Feuilleton übernommen. Vielen Dank dafür!)

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